EINFACHER SAMMELSCHIENENSCHUTZ

Um in Mittelspannungsverteilungen mit nachgeschalteten Unterverteilungen nicht die kritische 1,0-s-Fehlerdauer zu erreichen, wird das Prinzip der „Rückwärtigen Verriegelung“ eingesetzt. Ob klassisch mit Hilfe von Binär-Sperrsignalen oder über IEC-61850-Kommunikation realisiert, können so die Auslösezeiten in den Einspeisungen drastisch reduziert werden.

von Markus Falk Datum 12.06.2018

UMZ Schutz

Bei der Zeitstaffelung von UMZ-Geräten ergeben sich trotz oder – besser gesagt – wegen des einfachen Prinzips der Strom- und Zeitstaffelung in der Praxis häufig Probleme.

Bei Einsatz von digitalen UMZ-Geräten sind Staffelzeiten zwischen 200 ms und 300 ms üblich. Sind im Netz noch elektromechanische UMZ-Geräte verbaut, sind Staffelzeiten von bis zu 400 ms gebräuchlich. Werden im Leitungsverlauf mehrere UMZ-Schutzgeräte hintereinander eingesetzt, kommt es durch die Zeitstaffelung sehr schnell zu hohen Auslösezeiten - Abb. 1.

Abb. 1 Anstieg der Auslösezeiten zur Quelle

Insbesondere an der Sammelschiene im Umspannwerk treten beim Einsatz von UMZ-Geräten gleichzeitig die beiden Probleme

  • hohe Auslösezeit
  • größte Kurzschlussleistung und somit größter Kurzschlussstrom

auf - Abb. 2.

Um auch bei diesem Einsatzfall die Auslösezeiten zu begrenzen, kann man auf die sogenannte „Rückwärtige Verriegelung“ (RV) zurückgreifen. Man bleibt bei dem Prinzip der relativ einfachen Strom-Zeit-Staffelung, muss aber dafür mehr in die Projektierung und Verdrahtung in der Anlage und an den Schutzgeräten mehr Zeit für die Parametrierung und Prüfung investieren.

Abb. 2 UW-Abgänge mit variierenden Auslösezeiten

PRINZIP DER RÜCKWÄRTIGEN VERRIEGELUNG – RV

An dem Schutzgerät an der Sammelschieneneinspeisung werden zwei UMZ-Stufen parametriert. Beide erhalten die gleiche Anregeschwelle – aber unterschiedliche Auslösezeiten. Die erste Stufe bekommt die gleiche Auslösezeit wie die maximale Auslösezeit an einem der Schutzgeräte in den Abgangsfeldern. Dadurch verringert sich die Auslösezeit um eine Staffelzeit. Bei der zweiten Stufe wird die übliche Staffelzeit berücksichtigt.

Bei der RV wird vom nachgelagerten Schutzgerät die Meldung „Anregung“ über einen Binärausgang (Relaiskontakt) auf die Ringleitung gegeben. Diese Information wird am vorgelagerten Schutzgerät über einen Binäreingang eingelesen. Mit dieser Information wird dann die erste Stufe blockiert. Die zweite Stufe ist immer wirksam und hat eine Reservefunktion. Tritt nun ein Fehler in einem der Abgänge auf und das jeweilige Schutzgerät regt an, wird die Information „Anregung“ an das Schutzgerät in der  Einspeisung weitergeleitet und blockiert dort die entsprechende Stufe. Somit kann dann der Angangsschutz den Fehler selektiv klären - Abb. 3.

Abb. 3 Störung an einem Abgang – Sperre der 2. Stufe

Bei einem Fehler an der Sammelschiene kommt es an den Abgangsschutzgeräten zu keiner Anregung. Somit wird dann auch die erste Stufe am Schutzgerät der Einspeisung nicht blockiert und die Auslösung erfolgt mit der Zeit der ersten Stufe - Abb. 4.

Abb. 4 Störung an der Sammelschiene - Auslösung der Stufe 2

In der Vergangenheit wurden für den Informationsaustausch Ringleitungen über alle Felder der Anlage benötigt. Durch den Austausch der Anregemeldung über einen Binärausgang und einen Binäreingang kommt es zu einer kleinen Zeitverzögerung durch die Reaktionszeiten des Binärausgangs und des Binäreingangs. Bei digitalen Schutzgeräten treten dabei Zeiten kleiner 50 ms auf. Mit einer Einstellung von ≥ 100 ms für die kleinste Stufe ist eine ausreichende Sicherheit für die RV gegeben.

Mit Einzug der IEC 61850 kann der Informationsaustausch auch über GOOSE erfolgen. Dabei sind noch kürzere Reaktionszeiten möglich. Das Prinzip kann auch noch bei anderen Problemfällen zur Anwendung kommen:

  • geringe Übergabezeiten an den Übergabestationen vom Energieversorger in Kundenstationen
  • Staffelungsprobleme durch weitere unterlagerte Schutzgeräte in nachgelagerten Netzen (Kundennetze)

Das Verfahren eignet sich auch bei Anlagen mit einer Sammelschiene und einer Längskupplung zur Selektion eines fehlerbehafteten Sammelschienenabschnitts. Dazu wird in der Längskupplung ein UMZ-Schutz eingebaut. Der Schutz wird als einstufiger UMZ-Schutz ausgeführt. Der Anregestrom wird entsprechend den Anregeströmen in den Einspeisefeldern eingestellt – die Auslösezeit auf 100 ms. Tritt ein Fehler in einem der Abgangsfelder auf, wird die schnelle Zeit am UMZ-Schutz in der Längskupplung blockiert. Kommt es zu einem Sammelschienenfehler, wird zuerst der Schalter in der Längskupplung geöffnet. Der Fehler besteht dann entweder auf dem Sammelschienenabschnitt A oder B weiter und wird durch den Schutz im Einspeisefeld geklärt. Ein Trafo und eine Sammelschienenhälfte können weiter Betrieb machen – Abb. 5

Abb. 5 Rückwärtige Verriegelung auf Längskupplung

Durch den vermehrten Aufbau von Einspeiseanlagen gibt es die, in der Vergangenheit üblichen, Lastflüsse vom Umspannwerk hin zu den Verbrauchern kaum noch. Je nach Wetterlage kommt es in immer mehr Netzen zu einer Lastflussumkehr.

Auch im Fehlerfall treten Kurzschlussströme aus dem Netz heraus, z. B. in Richtung Sammelschiene im Umspannwerk, auf. Das Prinzip der RV kann auch hier weiterverwendet werden – es muss jedoch um die Richtungserkennung erweitert werden. In diesem Fall müssen dann mindestens gerichtete UMZ-Schutzgeräte verwendet werden.

Abb. 6 Weit verzweigte Mittelspannungsverteilung

RÜCKWÄRTIGE VERRIEGELUNG MIT RICHTUNG

An jedem Schutzgerät werden mindestens zwei UMZ-Stufen parametriert. Beide Stufen sollten die gleiche Anregeschwelle haben – aber in unterschiedliche Richtungen wirken. Eine Stufe wirkt in Vorwärtsrichtung, die andere in Rückwärtsrichtung. Die Zeiten der beiden Stufen können dabei unterschiedlich sein, z. B. in Vorwärtsrichtung eine Staffelzeit mit 300 ms oder größer – je nach erforderlicher Staffelung. Die Zeit der Rückwärtsstufe wird auf 100 ms eingestellt. Ausgetauscht werden bei der RV mit Richtung nun nicht mehr die Anregesignale, sondern die Fehlerstromrichtungen.

Tritt nun ein Fehlerfall im Netz auf, so fließen Ströme in unterschiedlichen Richtungen auf die Sammelschiene zu bzw. ab - Abb. 7.

Abb. 7 RV mit gerichteten UMZ-Stufen: Störung an einem Abgang

Bei einem Sammelschienenfehler gibt es nur auf die Sammelschiene zufließende Fehlerströme – Abb. 8.

Abb. 8 RV mit gerichteten UMZ-Stufen: Störung an der Sammelschiene

Die schnelle Stufe wird aktiv, wenn in keinem Feld am Schutzgerät ein Fehler in Vorwärtsrichtung auftritt.

Abb. 9 RV mit gerichteten UMZ-Stufen: Störung an der Sammelschiene

ZUSAMMENFASSUNG

Die Sperre von Hochstromstufen in Einspeisungen durch Anregesignale aus Abgangsfeldern führt zu sehr geringen Auslösezeiten bei Sammelschienenfehlern. Darum ist das Prinzip der Rückwärtigen Verriegelung auch als Einfacher Sammelschienenschutz bekannt. Erweiterte Lösungen binden auch Längskupplungen ein und verhindern so eine zusätzliche Staffelung innerhalb der Verteilung. Durch den vermehrten Aufbau von Einspeiseanlagen treten Kurzschlussströme aus dem Netz heraus auf. Hier kann das Prinzip der Rückwärtigen Verriegelung mit Hilfe von gerichteten UMZ-Schutzgeräten weiterverwendet werden.

ÜBERSTROMZEITSCHUTZ - Ausgabe 02/18

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