EINSATZ DER HOCHSTROMSTUFE

Der Nachteil von mitunter hohen Kurzschlussströmen auf der Hochspannungsseite von Transformatoren oder naheliegenden Leitungsfehlern kann mit Hilfe von Hochstromstufen als Vorteil genutzt werden. Sie führen zu einer Reduzierung der Fehlerzeiten und somit zu einer Verringerung des Zerstörungsgrades von betroffenen Anlagenkomponenten.

von Walter Schossig Datum 12.06.2018

UMZ Schutz

Wird elektromechanischer Überstromzeitschutz durch digitale Relais ersetzt, erreicht man durch die verringerte Staffeldifferenz (Δt = 0,4 s und nun 0,3 s) eine kleinere Fehlerklärungszeit. Oftmals wird dabei nicht daran gedacht, die in jedem digitalen Relais heute vorhandene Hochstromstufe auf Einsatzfähigkeit zu prüfen.

HOCHSTROMSCHUTZ BEI TRANSFORMATOREN

MS/NS BZW. MS/MS
Um eine Selektivität zu den auf der Unterspannungsseite vorhandenen Schutzeinrichtungen (Sicherungen oder Sekundärschutz) zu erreichen, muss der auf z. B. 1,6 InomTr eingestellte Überstromzeitschutz auf der Oberseite des Transformators eine Zeitverzögerung erhalten. Diese liegt bei 0,3 s (bei Sicherungen auf der Unterspannungsseite) und kann bei vorhandenem Sekundärschutz wesentlich höhere Zeiten erfordern. Während bei einem Fehler im Transformator hohe Kurzschlussströme auftreten, wirkt bei einem Fehler in den Unterspannungsabgängen die Kurzschlussstromdämpfung durch die Kurzschlussspannung des Transformators.

Abb. 1 Messung der Kurzschlussspannung

Das Prinzip der Ermittlung der Kurzschlussspannung zeigt Abb. 1. Bei einem auf der Unterspannungsseite eingebauten dreipoligen Kurzschluss wird die Spannung auf der Oberspannungsseite so weit erhöht, bis der Transformatornennstrom zum Fließen kommt. Die hiermit ermittelte Spannung ergibt im Verhältnis zur Nennspannung die prozentuale Kurzschlussspannung uZ bzw. uk (beide Bezeichnungen werden im Vorschriftenwerk benutzt). D. h., wenn im Netzbetrieb die Betriebsspannung anliegt, fließt bei einem Fehler  außerhalb des Transformators ein maximaler Strom von: Gl. 1

In Tab. 1 sind die sich maximal ergebenden Kurzschlussströme und der entsprechende Einstellwertvorschlag angegeben. [2] Hier ist davon ausgegangen worden, dass ein starres Mittelspannungsnetz (Einbau nahe des speisenden Umspannwerkes) vorliegt. In Gebieten mit hohem Anteil an Wechselrichtern von Wind- oder Photovoltaikparks bzw. bei Verteilungen am Ende von langen Leitungen können sich Verringerungen des Kurzschlussstromes und somit des Ansprechwertes der Hochstromstufe ergeben, die mit Hilfe von Netzberechnungen zu ermitteln sind.

Tab. 1 Einstellung der Hochstromstufe, MS-Transformator

110 kV/MS
Abb. 2 zeigt ein Schutzkonzept für einen 110/20-kV-Transformator [2], bei dem für alle Fehlerfälle und Versagen eines Schutzrelais, Leistungsschalters oder einer Batterie ein schnellschaltender Schutz gesichert ist. So wirkt bei einem Transformatorfehler als Schutzsystem 1 das Differenzialrelais -F321. Als Schutzsystem 2 wirken bei einem Fehler im Transformator der Buchholzschutz CF050 bzw. CF061 und bei einem Fehler auf der 110-kV-Seite außerhalb des Transformators (und natürlich auch bei einem großen Teil der Transformatorwicklungen) die Hochstromschnellstufe unverzögert.

Einstellregeln für die Hochstromstufe beim Überstromzeitschutz -F311 auf der Oberspannungsseite enthält Tab. 2.

Abb. 2 Schutzkonzept eines 110/20/20-kV-Transformators

Tab. 2 Einstellregeln Hochstromstufe, 110-kV-Transformator

TRANSFORMATORSCHUTZ OHNE HILFSENERGIEVERSORGUNG

Bei durch HH-Sicherungen und Buchholz geschützte Transformatoren verzichtet man auf eine Batterie und benutzt zur Auslösung des Lasttrenners durch den Buchholzschutz eine 100-V-Speisung eines Spannungswandlers oder 220 V der Unterspannungsseite des Transformators. Wird der Lasttrenner mit angebauten Sicherungen durch einen Leistungsschalter und wandlerstrombetätigtem Überstromzeitschutz ersetzt, so sollte unbedingt eine Hochstromschnellstufe genutzt werden.

HOCHSTROMSCHUTZ BEI LEITUNGEN

Für die thermische Belastung von Leitungen im Kurzschlussfall ist neben der Größe des Kurzschlussstromes die Fehlerklärungszeit maßgebend. Damit ist die Kommandozeit des Schutzes nicht nur für die Selektivität von Bedeutung. Der Einsatz eines Überstromschnellschutzes zusätzlich zum Überstromzeitschutz (Mehrstufen- Überstromschutz) kann unter bestimmten Voraussetzungen von Vorteil sein. [1]

HOCHSTROMSCHUTZ BEI IN REIHE LIEGENDEN UMZ-RELAIS
Beim Überstromschnellschutz wird auf eine Zeitselektion verzichtet und die Stromeinstellung nach dem im zu schützenden Objekt auftretenden Kurzschlussstrom so vorgenommen, dass nur Fehler auf einem Teil der zu schützenden Strecke schnell abgeschaltet werden. Eine geringe Verzögerungszeit von etwa 50…200 ms ist hierbei wegen Einschaltströmen möglich. Die Bestimmung des Ansprechwertes für den Überstromschnellschutz ist in Abb. 3 dargestellt und in [1] ausführlich beschrieben. Der Mehrstufenschutz ist nicht unbedingt auf zwei Stufen begrenzt, sodass mit ihm ein impedanzabhängiger Zeitschutz (ähnlich einem Distanzschutz) erreicht werden kann. Änderungen der vorgeordneten Netzimpedanz, z. B. bei Schaltzustandsänderung bzw. Parallelschaltung von Transformatoren, sind hierbei zu beachten.

Abb. 3 Einstellung Überstromschnellschutz

Abb. 4 Wirkung Mehrstufen-Überstromschnellschutz

HOCHSTROMSCHUTZ BEI IN REIHE LIEGENDEN DISTANZ- UND UMZ-RELAIS
Um bei Kundenstationen mit UMZ-Schutz eine Selektivität mit dem vorgeordneten Distanzschutz zu erreichen, muss die Einstellung von t2 des Distanzrelais 0,3 s über der Kommandozeit des Transformators -T21 liegen. In diesem Fall ist t2 = 0,6 s – Abb. 5, kann aber je nach Kommandozeit des Überstromzeitschutzes noch höhere Werte einnehmen.

Abb. 5 Distanzschutz-Staffelplan ohne Hochstromstufe

Eine Nutzung der Hochstromstufe des Überstromzeitschutzes beim Transformator -T21 ermöglicht eine normal übliche Einstellung beim Distanzschutz mit t2 = 0,3 s – Abb. 6.

Abb. 6 Distanzschutz-Staffelplan mit Hochstromstufe

AUFHEBUNG DER FALSCHSTROMSTABILISIERUNG BEI HOCHSTROM

Eine beim Differenzialschutz vorgenommene Falschstromstabilisierung ist bei einem Diff.- Strom Id > Ikmax nach (1) nicht mehr erforderlich, da in diesem Fall der Fehler im Diff.-Bereich liegt. Deshalb geht die Kennlinie – Abb. 7 bei Id>> in eine Gerade über. Die Einstellung erfolgt analog Tab. 2.

Abb. 7 Falschstromstabilisierung Diff.-Schutz

ZUSAMMENFASSUNG

Selektivität erfordert beim Überstrom(richtungs)zeit- bzw. Distanzschutz eine erhöhte Relaiseinstellzeit. Eine Nutzung der Hochstromstufe auf der Oberspannungsseite der Mittelspannungstransformatoren führt zur Reduzierung der Fehlerklärungszeit beim Schutz des Transformators und der Leitungen. Bei 110-kV-Transformatoren wird ein unverzögerter Reserveschutz für Fehler außer- und innerhalb des Transformators erreicht.

Quellen

1 H. Clemens; K. Rothe, Schutztechnik in Elektroenergiesystemen, 3. Auflage 1991, Berlin: VDE-Verlag
2 W. Schossig; T. Schossig, Netzschutztechnik, EW Medien und Kongresse GmbH, Frankfurt a. M., 6. Auflage 2017. www.walter-schossig.de

ÜBERSTROMZEITSCHUTZ - Ausgabe 02/18

Hier können Sie die 2.Ausgabe 2018 zum Thema ÜBERSTROMZEITSCHUTZ als PDF herunterladen und einen Gesamteindruck vom NETZSCHUTZ Magazin bekommen.

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EINFACHER SAMMELSCHIENENSCHUTZ

Um in Mittelspannungsverteilungen mit nachgeschalteten Unterverteilungen nicht die kritische 1,0-s-Fehlerdauer zu erreichen, wird das Prinzip der „Rückwärtigen Verriegelung“ eingesetzt. Ob klassisch...

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