SAMMELSCHIENEN­DIFFERENTIALSCHUTZ - GRUNDLAGEN

Ein Sammelschienenfehler gefährdet die Netzstabilität mehr als irgendeine andere Fehlerart. Der Hauptzweck einer Sammelschienen-Schutzeinrichtung ist es, Netzzusammenbrüche durch Abschaltung der fehlerbehafteten Sammelschienensektion zu vermeiden, bevor andere Netzelemente ausfallen können.

von Peter Schitz Datum 01.10.2019

Spezialschutz

Infolge der Komplexität der meisten Anlagen ist die schnelle und selektive Erfassung von Sammelschienenfehlern eine Herausforderung an die Schutztechnik. Umso mehr, da Kurzschlussströme an Sammelschienen generell sehr hoch sind und daher schwere Zerstörungen anrichten können, wenn sie nicht rechtzeitig abgeschaltet werden. Speziell in Innenraumanlagen sind Sammelschienenfehler auch eine Gefahr für das Betriebspersonal.

ANFORDERUNGEN

Neben der Anforderung an die Empfindlichkeit muss beim Sammelschienenschutz auch eine hohe Sicherheit gegen Fehlauslösen bei externen Fehlern gewährleistet sein.

GERINGE AUSLÖSEZEITEN

Für SF6-Schaltanlagen definiert die Schaltanlagennorm EN 62271-203 Folgendes: „Um ein hohes Maß an Personensicherheit zu erreichen, müssen die äußeren Auswirkungen eines Lichtbogens (durch ein geeignetes Schutzsystem) auf das Auftreten eines Loches oder Risses in der Kapselung ohne Bildung von Bruchstücken beschränkt bleiben.“ [1]. Zu dieser grundlegenden Forderung leitet der FNN-Leitfaden zum Einsatz von Schutzsystemen in elektrischen Netzen ab: Da die Dauer des Lichtbogens vom ausgeführten Schutzsystem abhängig ist, sind in dieser Norm Kriterien entsprechend des Schutzsystemverhaltens aufgeführt. Ist zwischen Hersteller und Betreiber nichts anderes vereinbart, wird ein Durchbrennen der Kapselung ohne Bildung von Bruchstücken

  • für Ströme < 40 kA nach < 0,5 s und
  • für Ströme > 40 kA nach < 0,3 s akzeptiert [2].

Diese Abschaltzeiten sind bei Berücksichtigung einer ebenfalls im FNN-Leitfaden geforderten Leistungsschalter-Ausschaltzeit von < 60 ms nur mit Schutzauslösezeiten

  • für Ströme < 40 kA von < 0,44 s und
  • für Ströme > 40 kA nach < 0,24 s

möglich. Somit ist hier der Einsatz von Sammelschienenschutzeinrichtungen unbedingt erforderlich.

AUSBAUFÄHIGKEIT

Die praktische Erfahrung hat gezeigt, dass die Anlagenkonfiguration während der Bauzeit und auch nach Fertigstellung oft geändert wird. Folglich muss auch die Sammelschienenschutzkonfiguration darauf angepasst werden. Eine Sammelschienenschutzeinrichtung, welche softwaremäßig auf die baulichen Änderungen einer Schaltanlage konfiguriert werden kann, ist deshalb wünschenswert. Dies wird durch die Anwendung eines digitalen Sammelschienenabbilds erreicht. Falls die Hardware für eine Vergrößerung der Anlage nicht ausreicht, ist es möglich, zusätzliche Komponenten hinzuzufügen [3]. 

FLEXIBILITÄT

Die Systeme müssen flexibel genug sein um die vielen verschiedenen Anlagentypen und -konfigurationen nachbilden zu können. Beispiele dazu zeigt Abb. 1

Abb. 1 Beispiele von Schaltanlagenkonfigurationen [4] 

GRUNDPRINZIP

Grundsätzlich wird die Stromsumme betrachtet, die im Normalbetrieb aufgrund der Balance von eingehenden und abgehenden Strömen annähernd null ist.

Tritt jedoch ein Sammelschienenfehler auf, nimmt der Strom in den einspeisenden Feldern zu und die Stromsumme ist ungleich null – siehe Abb. 2.

Abb. 2 Grundprinzip

Die hier zur Vereinfachung als reine Verbraucher dargestellten Felder mit den Strömem  I2 und I3 können real Kabelfelder sein, die im Kurzschlussfall die Richtung ändern.

D. h., es handelt sich um einen Stromvergleich aller Felder einer Schaltanlage. Der von null abweichende Summenstrom wird als Differentialstrom bezeichnet.

Der Differenzstrom IDiff wird aus der vektoriellen Summe der sekundären Wandlerströme gebildet und wirkt im auslösenden Sinn – Gl. 1:

STABILISIERUNGSMAßNAHMEN

Beim Sammelschienenschutz werden für die Auslösung aus Sicherheitsgründen immer mehrere Kriterien verwendet werden. Neben den nachfolgend beschriebenen sind auch einfache Überstrom- oder Minimalspannungsfreigaben in Verwendung.

HALTESTROM

Gleichzeitig wird die Summe der Wandlerstrombeträge gebildet. Diese Summe wird Haltestrom IH oder englisch restrain current Irest genannt und wirkt gegen ein Ansprechen – Gl. 2:

Wobei:

ILn – Grundkomponente nach dem Fourier-Filter in Phase L des Abzweigs n
N – Gesamtanzahl der Abzweige und Kupplungsschalter pro Schutzzone

Einige Hersteller verarbeiten in ihren Algorithmen komplexe Stromzeiger, welche durch die Fourier-Analyse ermittelt werden und aus-schließlich den Grundwellenanteil beinhalten. Gleichstromanteile und Oberschwingungen werden unterdrückt. Andere verarbeiten ungefilterte Strombeträge um schnellere Auslösezeiten zu erreichen.

Die durch den Haltestrom hergestellte Stabilisierung verringert die Auswirkungen des unterschiedlichen Übertragungsverhaltens der Stromwandler auf die Messung der Abzweigströme und verhindert damit ein fehlerhaftes Verhalten des Schutzes – siehe Abb. 3. Darin findet sich der Stabilisierungsfaktor oder Haltesteilheit k, der/die aus dem Quotienten von Differential- und Haltestrom gebildet wird – Gl. 3:

Bzw. kann die Steigung der Grenzgeraden zwischen Auslöse- und Blockierbereich mit dem Einstellwert kEinstellung verändert werden. Mit geringerem Wert wird der Auslösebereich zu geringen Differentialströmen hin vergrößert, d. h. das System empfindlicher gemacht. Ein Standardwert für k ist 0,8. Für geringere Werte sind die Wandler genauestens zu überprüfen – siehe Artikel "k-Faktor und Stromwandler" - erscheint am 7. Oktober 2019.

Abb. 3 Typische Auslösekennlinie stabilisierter Differentialstrom-Algorithmus [4]

Für die Erfassung eines internen Fehlers müssen die beiden folgenden Bedingungen erfüllt sein – Gl. 4:

Wobei:  

Ik min – Differentialstrom-Ansprechwert, nachfolgend auch ID2>

CHECKZONENSCHUTZ ZUR FREIGABE

Die Verwendung eines „Checkzonenelementes“ basiert auf dem Prinzip, dass im Falle eines Fehlers auf einer der Anlagensammelschienen der in der fehlerbehafteten Zone gemessene Differentialstrom dem entspricht, der über die Anlage als Ganzes (über alle Zonen) gemessen wird. Eine der häufigsten Ursachen für Fehlfunktionen von Sammelschienen-Differentialschutzschaltungen ist ein Fehler im Erfassen des tatsächlichen Anlagenstatus durch eine fehlerhafte Abbildung der Stellung eines Trenners oder Leistungsschalters (Diskrepanz der Hilfskontakte). Dies erzeugt einen Differentialstrom in einem oder mehreren Stromknoten. Wenn jedoch ein Element die Ströme überwacht, die in die Gesamtanlage hinein- und aus ihr herausfließen, bleibt die Resultierende bei Abwesenheit eines Fehlers vernachlässigbar. Wird gleichzeitig in einer Zone ein Differentialstrom festgestellt, muss die Ermittlung des Anlagenstatus in dieser Zone fehlerhaft sein.

Abb. 4 Checkzone über Gesamtanlage 

Die Checkzone umfasst sämtliche Leitungsabgänge der Sammelschiene, während die Trennerstellungen nicht berücksichtigt werden. Die Messungen der Kupplungen werden grundsätzlich nicht berücksichtigt.

Der Checkzonen-Differenzstrom IDiff CZ, Checkzonen-Haltestrom IH und der Sättigungsfaktor kCZ werden wie zuvor gebildet – Gl. 5 bis Gl. 7:

Wobei:

ILn – Grundkomponente nach dem Fourier-Filter in Phase L des Abzweigs n
M – Gesamtanzahl der Abzweige der Schaltanlage ohne Kupplungen

Abweichungen zwischen den Herstellern gibt es z. B. bei

  • der Bewertung des errechneten Sättigungsfaktors k CZ mittels des Einstellwertes k CZ Einstellwert ode
  • der Berechnung des errechneten Sättigungsfaktors k CZ mit Gl. 6 und 7 mit Hilfe des größten Abzweigstromes Imax statt der Strombetragssumme ILn, bei Bewertung mit dem o. a. k Einstellwert [3]

In den folgenden Absätzen werden weitere von Hersteller zu Hersteller abweichende Stabilisierungs- bzw. Zusatzfunktionen beschrieben:

PHASENVERGLEICH

Um hohe Stabilität bei schwerer Stromwandler-Sättigung zu erreichen, vergleichen einige Hersteller die Phasenwinkel der Ströme. Dies gilt auch dann, wenn ein System wieder eingeschaltet wird dessen Stromwandlerkerne einen Remanenzfluss aufweisen. Aus diesem Grund wurde der Phasenvergleich als Prinzip für das zweite Kriterium des Sammelschienenschutzsystems ausgewählt [5]. 

Abb. 5 Auslöselogik mit Phasenvergleich

Dieses Messprinzip bestimmt die Energieflussrichtung und beinhaltet einen Phasenvergleich der Ströme sämtlicher mit einem Sammelschienenabschnitt verbundenen Abzweige. Die Grundwellen-Stromzeiger φ1, φ2, …, φϖ werden verglichen. Im Fall eines internen Fehlers weisen sämtliche Abzweigströme nahezu denselben Phasenwinkel auf. Im Gegensatz dazu ist während des normalen Betriebs mindestens einer der Ströme im Vergleich zu den anderen Strömen um 180° phasenverschoben – Gl. 8:

Der Algorithmus erfasst einen internen Fehler, wenn die Differenz zwischen den Phasenwinkeln aller Abzweigströme innerhalb des Auslösewinkels der Phasenvergleichsfunktion liegt – siehe Abb. 6.

Abb. 6 Charakteristik des Phasenvergleichsalgorithmus zur Festlegung der Energieflussrichtung [4]

WANDLERSÄTTIGUNG

Um Fehlauslösungen durch Wandlersättigung zu verhindern, wurden verschiedene Methoden entwickelt. Nachfolgend werden beispielhaft einige beschrieben:

MAXIMALVERLÄNGERUNGSPRINZIP

Das Maximalverlängerungsprinzip ist eine Methode für die zusätzliche Verarbeitung von Stromsignalen, damit Schutzalgorithmen selbst bei Sättigung von Stromwandlern Fehler unabhängig voneinander erfassen können [4]. Bei dieser Methode wird der im Abtastfenster erfasste Maximalwert verwendet, wenn ein Stromwandler gesättigt ist. Durch die Verlängerung des Maximalwerts wird das Signal so kompensiert, dass die bestmögliche Annäherung des Phasenwinkels und der Amplitude an das ungesättigte Signal erreicht wird – siehe Abb. 7:

Abb. 7 Maximalverlängerungsprinzip bei Stromwandlern [4]

Bei der Zeit t0 handelt es sich um das Intervall zwischen dem letzten Nulldurchgang vor Erfassung des Maximalwerts und dem Ende des Verlängerungszeitraums. Bei einer Netzfrequenz von 50 Hz beträgt diese Zeit 12,5 ms (10,4 ms bei 60 Hz). Die Anstiegszeit vom Nulldurchgang bis zum Maximalwert ist als ta definiert. Der Unterschied zwischen t0 und ta ist die Zeit th, die dann die Zeit darstellt, um die der Maximalwert im Abtastfenster verlängert wird. Je länger die Zeit ta ist, desto kleiner ist der Wert, um den der Maximalwert verlängert wird.  

SÄTTIGUNGSERKENNUNG DURCH ZEITDISKRIMINIERUNG

Eine weitere Methode stellt die Sättigungserfassungsprinzip dar, die in Abb. 8 dargestellt ist. Es ist Teil der Software in der Feldeinheit. Abb. 8.a zeigt einen sinusförmigen Verlauf des Wandlerstroms in dem Primärstrom I1 und bezogener Wandlersekundärstrom I2 gleichförmig sind. Das gleichgerichtete Signal wird wie bei einer Kondensatorentladung gefiltert und gewichtet – siehe Verlauf Ic. Durch Vergleich der beiden Größen in der Art Ic > │I2 │erhält man das Sättigungssignal SAT als binären Zeitverlauf.

Man erkennt in Abb. 8a, dass bei diesem Verfahren auch bei sinusförmigen Verläufen ein Sättigungssignal generiert wird. Da sich beim Auftreten des Sättigungssignals der Strom im Bereich des Nulldurchgangs befindet und die Amplitude klein ist, hat diese Überfunktion keine negativen Auswirkungen.
Abb. 8b zeigt, dass bei gesättigtem Stromverlauf I1I2 die Zeit, in der das SAT-Signal erzeugt wird, dem Grad der Sättigung entsprechend deutlich größer ist. Da dieses Sättigungssignal mit jeder Abtastung neu überprüft wird, ist eine Schutzblockierung stets nur im gesättigten Teil des Stromverlaufs bzw. nahe dem Stromnulldurchgang gegeben [3].

a. ohne Sättigung und kurzem SAT-Signal    b. mit Sättigung und langem SAT-Signal
Abb. 8 Stromverlauf ohne und mit Sättigung [3]  

ERDSCHLUSSBEHANDLUNG

Für die Erfassung von Erdschlüssen muss dem System der sekundäre Erdschlussstrom zugeführt werden oder eine Berechnung möglich sein. Dies geschieht klassisch: 

  • bei isolierten oder kompensierten Netzen mit Hilfe von Summenstromwandlern – siehe Abb. 9a
  • bei starr und niederohmig geerdeten Netzen mit der Summenstrom-/Holmgren-Schaltung – siehe Abb. 9a
  • bzw. alternativ die geräteinterne Berechnung von 3Io aus der vektoriellen Summe der Phasenströme – siehe Abb. 9b

a. Summenstromwandler bzw. Holmgren      b. Interne Berechnung von 3Io
Abb. 9  Erdschlussstromerfassung [4]  

Dabei ist zu berücksichtigen, dass bei Stromsummierung eine Wandlersättigung auftreten kann, die zu instabilen Zuständen und Fehlauslösungen führen kann – siehe Abb. 10:

Abb. 10  3I0 im Fall von Stromwandler-Sättigung bei einem 2-phasigen Fehler L1-L2 [4] 

Aus diesem Grund sollte der empfindliche Erdschluss-Differentialschutz nur benutzt werden, wenn alle Stromwandler demselben Standard entsprechen.

Außerdem sind die Stromanregewerte entsprechend zu wählen bzw. wird der Erdschluss im Algorithmus speziell behandelt.   

EMPFINDLICHER ERDSCHLUSSDIFFERENTIALSCHUTZ (EEF)

Prinzipiell arbeitet diese vom Phasenschutz unabhängige Schutzstufe erst oberhalb des minimalen Ansprechwerts IDE>2 gemeinsam mit der eingestellten Neigung der Stabilisierungskennlinie (kE2). Gleiches gilt für die separate Checkzonen-Kennlinie mit den entsprechenden CZ-Werten – siehe Abb. 11.

IDE>2        Minimaler Ansprechwert des Zonendifferentialelementes

IDECZ>2 Minimaler Ansprechwert des Checkzonen-Differentialelementes

IEH, IECZ      Haltestrom bzw. Checksumme aus der Betragssumme der entsprechenden IE

KE2          Kennliniensteigung für die Zone

kECZ        separat einstellbare Kennliniensteigung für die Checkzone (siehe auch Absatz „Checkzonenschutz für Freigaben“) 

Abb. 11 Kennlinie des empfindlichen Erdschlussdifferentialschutzes [6]

Wenn sich ein Fehler, z. B. durch einen Doppelerdschlussfehler, zu einem Leiterfehler entwickelt, ist es wichtig, dass die Erdschlusskennlinie abgeschaltet wird und die Hauptschutz-Kennlinie wie in Abb. 3 wirkt.

Deshalb wird der Schutz unter- bzw. oberhalb eines einstellbaren Ansprechwerts „EEF-Blockade“ ein- bzw. ausgeschaltet – siehe

Abb. 12. Dieser Wert wird normalerweise auf den minimalen Leiter-Leiter-Kurzschluss-Strom eingestellt. Um Fehlfunktionen bei Stromwandlersättigung zu verhindern, wird der Schutz um 20 ms verzögert.

Der Vorteil der separaten Kennlinie liegt in der Möglichkeit, den EEF-Schutz gegenüber dem Hauptschutz durch geringere Kennlinienneigung empfindlicher zu stellen.

Abb. 12 Kennlinie bei Blockierung des empfindlichen Erdschlussschutzes [6]

Eine häufig angewandte Methode kann die Aktivierung der empfindlichen Kennlinie über die Verlagerungsspannung U0 sein. Dies kann über ein externes Binärsignal erfolgen oder über Ausgangssignal einer integrierten Spannungsschutzfunktion. 

ABBILD DER SAMMELSCHIENENABSCHNITTE

Zur korrekten Bildung der Zonen-Stromsummen müssen die vorhandenen Abschnitte einer Schaltanlage mit Hilfe der Schaltzustände der einzelnen Felder im Schutzsystem abgebildet werden und als Zonen definiert werden.

Abb. 13 Abbild der Sammelschienenabschnitte als Schutzzonen einer Schaltanlage 

TRENNERHILFSKONTAKTE

Die Hilfskontakte der Trenner werden mit den Binäreingängen der Feldeinheiten verbunden und steuern so den Status des Sammelschienenabbilds im digitalen Sammelschienenschutz. Für jeden Trenner muss ein potentialfreier Arbeitskontakt und ein potentialfreier Ruhekontakt zur Verfügung stehen. Der Arbeitskontakt signalisiert den Trennerzustand „EIN“ und der Ruhekontakt den Trennerzustand „AUS“. Während des Schließens muss der Arbeitskontakt geschlossen sein, bevor der Hauptkontaktabstand des Trenners seinen Funkenüberschlagpunkt erreicht. Ebenso darf sich der Arbeitskontakt während des Schließens nicht öffnen, bevor der Hauptkontaktabstand des Trenners seinen Funkenüberschlagpunkt überschreitet.

Wenn dies nicht der Fall ist, d. h., der Kontakt signalisiert vorab den Zustand „nicht mehr geschlossen“, signalisiert der Ruhekontakt eventuell nicht den Zustand „AUS“, bevor der Funkenüberschlagpunkt überschritten ist. In solchen Fällen kann auf „Nicht AUS = EIN entschieden werden. D. h., der Trenner wird vom System weiterhin als geschlossen betrachtet und lediglich eine Alarmmeldung abgesetzt.

Abb. 14 Schaltsequenz der Hilfskontakte zur Steuerung des Sammelschienenabbilds [4]

Tab. 1 Trennerabbild mit beispielhafter Alarmbehandlung [4]

AUSFALL DER TRENNERHILFSSPANNUNG

Ein Ausfall der Abfragespannung der Trennerhilfskontakte liefert eine Stellungsantivalenz wie im Beispiel „Nicht AUS = EIN“ zuvor. Wird die Trennerhilfsspannung einem Binäreingang zugeführt, so kann die Speicherung der Trennerstellung vor Ausfall dieser Spannung parametriert werden – siehe Tab. 1. Der Schaltzustand des Trenners darf nach Ausfall der Trennerhilfsspannung nicht mehr geändert werden (etwa im Handbetrieb), da es sonst zu Fehlauslösungen kommen kann [3].

SCHALTERVERSAGERSCHUTZ (SVS)

Der Leistungsschalter stellt das letzte und gleichzeitig wichtigste Element innerhalb des Schutzsystems dar. Der Zweck des SVS ist es, die richtige Aktion auszuführen, falls der Leistungsschalter beim Ausführen eines Auslösebefehls versagen sollte. Dies umfasst sowohl das Auslösen der die Fehlerstelle umgebenden Leistungsschalter, welche sich in der Regel in derselben Anlage befinden, als auch gegebenenfalls das Auslösen von Leistungsschaltern an der Gegenseite von Leitungen, die sogenannte direkte Schaltermitnahme.

Das Prinzip des Schalterversagerschutzes, kurz SVS, basiert auf der Überwachung der Zeitspanne, in der ein Fehler nach der Ausgabe eines Auslösebefehls an den Leistungsschalter besteht. D. h., die Anregung des SVS wurde durch die Hauptschutzfunktion freigegeben, z. B. durch den Abgangsschutz [5].

ZEITSTAFFELUNG EINES EIN- ODER ZWEISTUFIGEN SVS

Die Anregung von Zeitglied t1 erfolgt durch Überstrom und ein Signal aus dem Hauptschutz. Nach Ablauf der für t1 festgelegten Zeit und der internen Verarbeitungszeit ta1 erfolgt ein zweiter Auslöseversuch des Leistungsschalters. Nach Ablauf von t1 wird ebenfalls das Zeitglied t2 angeregt. Falls der Leistungsschalter auch nach Ablauf der für t2 festgelegten Zeit und der internen Verarbeitungszeit ta2 nicht auslöst, werden die umliegenden Leistungsschalter per Mitnahmeschaltung ausgelöst.

Abb. 15 Übersicht Funktion Schalterversagerschutz Fall 1 bis 3

 

Fall 1: Erfolgreiche Auslösung durch die Hauptschutzfunktion

Die Überstromfunktion und ein von der Hauptschutzfunktion ausgehendes Anregungssignal regen das Zeitglied t1 an. Der Leistungsschalter unterbricht vor Ablauf dieser Zeitspanne erfolgreich den Kurzschlussstrom, und die Überstromfunktion wird zurückgesetzt. Reserve-Auslösebefehl wird nicht erzeugt (SVS t1) – siehe Abb. 16.

Abb. 16 Fall 1: Auslösung Leistungsschalter [5]

Fall 2: Reserve-Auslösung durch SVS

Die Überstromfunktion und ein von der Hauptschutzfunktion ausgehendes Anregungssignal regen das Zeitglied t1 an. Auf dem Leistungsschalter tritt ein Fehler auf, die Auslösung schlägt fehl, und die Überstromfunktion wird nicht zurückgesetzt. Nach Ablauf der für Zeitglied t1 eingestellten Zeit und der internen Verarbeitungszeit ta1 erfolgt ein zweiter Auslöseversuch des Leistungsschalters, der diesen vor Ablauf der für Zeitglied t2 eingestellten Zeit erfolgreich auslöst. Die Stromfunktion wird zurückgesetzt. Es erfolgt keine Mitnahmeauslösung der umliegenden Leistungsschalter (SVS t2) – siehe Abb. 17.

Abb. 17 Fall 2: 2. Auslösung auf Spule 2 des feldeigenen Leistungsschalters durch Stufe 1 [5]

Fall 3: Mitnahmeauslösung der umliegenden Leistungsschalter durch SVS

Die Überstromfunktion und ein von der Hauptschutzfunktion ausgehendes Anregungssignal regen das Zeitglied t1 an. Auf dem Leistungsschalter tritt ein Fehler auf, sowohl die Auslösung als auch die Reserve-Auslösung schlagen fehl, und die Überstromfunktion wird nicht zurückgesetzt. Nach Ablauf der für die Zeitglieder t1 und t2 eingestellten Zeiten und der internen Verarbeitungszeit ta2 erfolgt die Mitnahmeauslösung der umliegenden Leistungsschalter, um den Fehler zu isolieren – siehe Abb. 18. Dies geschieht, indem das Signal an die Zentraleinheit geht, welche die betroffene Sektion entsprechend dem Trennerabbild abschaltet. D. h., für die anderen ausgelösten Feldeinheiten ist dies eine Sammelschienenschutzauslösung. Die Fernauslösung der Gegenseite der Leitung kann so konfiguriert werden, dass sie entweder nach Ablauf der für t1 oder der für t2 eingestellten Zeit erfolgt.

Abb. 18 Fall 3: Mitnahmeauslösung Leistungsschalter durch Stufe 2  [5]

KUPPLUNGSSCHUTZ

Bei Schaltanlagen mit Längs- oder Querkupplung und nur einem Stromwandler in der Kupplung – siehe Abb. 4 – werden die digitalisierten Phasenströme an beide Sektionsfunktionen der Zentraleinheit übermittelt. Die normierten Strommesswerte werden dabei einmal normal und einmal invertiert für die Stromsummenbildung zur Verfügung gestellt. Der Einbauort des Wandlers ist die physikalische Grenze für Fehler in den angrenzenden Sektionen. Bei einem Fehler in der sogenannten toten Zone zwischen Wandler und Leistungsschalter werden die Strommesswerte nach einer einstellbaren Zeit unterdrückt. Per Einstellparameter „Zeitverzögerung“ wird dabei die Öffnungszeit in Abhängigkeit von der eingekoppelten Leistungsschalterstellung berücksichtigt.

Somit ist für diesen Fehlerfall gewährleistet, dass auch die den Fehler speisende Sektion entsprechend zeitverzögert ausgelöst wird. Hingegen werden bei einer Kupplung mit zwei Wandlersätzen die Ströme beider angrenzenden Sektionen überlappend erfasst und bei einem Fehler zwischen einem der Wandler und Leistungsschalter zeitgleich ausgelöst – siehe grau schraffierter Bereich im Beispiel zentraler SS-Schutz in Abb. 20. Beim dezentralen SS-Schutz wird je Wandler eine Feldeinheit eingesetzt und die Kupplungsfunktion wird mittels Softwareparameter „Kupplungsfunktion EIN/AUS“ deaktiviert [3].

ENDFEHLER-/TOTZONENSCHUTZ

Diese oftmals als Option in der Feldeinheit verfügbare Funktionalität dient der Handhabung eines Fehlers auf dem Endstück zwischen Leistungsschalter und Wandler im Leitungsabzweig. Dieser Bereich wird v. a. im englischen Sprachraum auch als Totzone – dead zone – bezeichnet. Der Endfehlerschutz wird je nach Situierung des Wandlers im Leitungsabzweig in zwei Konfigurationen ausgeführt – siehe Abb. 19.

WANDLER LEITUNGSSEITIG

Bei Abzweigen, die den Leistungsschalter wie in Abb. 19 unten im Schutzbereich des Sammelschienenschutzes haben, wird folglich auch ein Fehler, der zwischen Wandler und Leistungsschalter auftritt, wie ein Sammelschienenfehler behandelt. Der Leitungsschutz und/oder bei entsprechender Kommunikation der Schalterversagerschutz lösen sodann den entfernten Leistungsschalter aus. Bei offenem Leistungsschalter vor Fehlereintritt kann mit der Funktion „Endfehler“ eine Auslösung des Sammelschienenschutzes verhindert werden, indem wie bei der Kupplungsfunktion bei offenem Leistungsschalter der Strom im Abzweig ausgeblendet wird.

Abb. 19 Leitungs- und schienenseitige Wandlerpositionierung

WANDLER SCHIENENSEITIG

Bei Einbau des Wandlers zwischen Sammelschiene und Leistungsschalter liegt ein Fehler zwischen Wandler und Leistungsschalter grundsätzlich außerhalb des Schutzbereiches des Sammelschienenschutzes – siehe Abb. 19 unten. Zunächst wird ein solcher Fehler vom Abzweigschutz erkannt. Der Schalterversagerschutz schaltet sodann selektiv die den Fehler speisende Sammelschienensektion ab. Ist jedoch der Leistungsschalter vor Fehlereintritt offen, so regt der Abzweigschutz u. U. nicht an. Damit für diesen Fall nicht die Auslösezeit des Abzweigreserveschutzes abgewartet werden muss, wird so wie bei der Kupplungsfunktion in der Schutzfunktion „Endfehler“ der Abzweigstrom ausgeblendet. Dies erfolgt in Abhängigkeit von der Leistungsschalterstellung und mit einer einstellbaren Verzögerung. Im Gegensatz zur Funktion in der Kupplung wird hierbei grundsätzlich das Prinzip der Check-Zone umgangen [3].

ZENTRALE UND DEZENTRALE SYSTEME 

Prinzipiell gibt es 2 Arten von Einrichtungen: zentrale und dezentrale Systeme. 

ZENTRALER SAMMELSCHIENENSCHUTZ

Bei den zentralen werden alle Feldstromwandler und Schalterzustandsmeldungen auf eine Einheit, die aus mehreren Modulen bestehen kann, verdrahtet – siehe Abb. 20. In dieser werden alle nachfolgend beschriebenen Aufgaben eines Sammelschienenschutzsystems zentral abgearbeitet. Diese Systeme eignen sich je nach Hersteller für Schaltanlagen mit bis zu 4 Zonen und bis zu 21 Feldern.

Abb. 20 Beispiel für zentralen Sammelschienenschutz mit 5 Feldern und 2 Zonen [7] 

DEZENTRALER SAMMELSCHIENENSCHUTZ

Für größere Anlagen werden die Feldströme und Schalterzustandsmeldungen an dezentrale Geräte, auch als Kombi-Schutzgeräte mit Steuerfunktion und weiteren Schutzfunktionen, in den Feldern oder separaten Sammel-Schränken angebunden – siehe Abb. 21.

FELDGERÄTE

Diese sind somit jeweils einem Abzweig zugeordnet und erfüllen für den Sammelschienenschutz diejenigen Funktionen, die an die Peripherie verlagerbar sind. Alle abzweigbezogenen Größen wie

  • Ströme,
  • Trennerstellungen,
  • Auslöse- und Meldekontakte

sind der jeweiligen Feldeinheit zugeordnet. Zusätzlich sind zumindest 

  • eine Sättigungserkennung,
  • eine Reserveüberstrom- und
  • eine Schalterversagerschutzfunktion integriert

Abb. 21 Beispiele für dezentralen Sammelschienenschutz [4]

ZENTRALGERÄT

Die Feldgeräte sind über Lichtwellenleiter mit einer Zentraleinheit verbunden. Dessen Hauptaufgabe ist der Aufbau des Anlagenabbildes und die Ableitung der Auslösesignale von den Stromsummen. Ein Beispiel für die Aufgabenteilung zwischen Zentraleinheit und Feldgeräten zeigt Abb. 22.

Abb. 22 Beispiel einer detaillierten Funktionsübersicht eines dezentralen Systems [3] 

VERBINDUNGSKONFIGURATIONEN

Wie bei Lichtwellenleiterverbindungen üblich, gibt es verschiedene Arten der Konfiguration: 

  • Sternkonfiguration – siehe Abb. 21
  • Ringkonfiguration – siehe Abb. 23

Die Ringkonfiguration bietet den Vorteil der Datenstromumleitung, falls eine Lichtwellenleiterstrecke unterbrochen ist (LWL-Bruch oder Problem an der Schnittstellenkarte)

Abb. 23 Beispiel für Signalwege im Normalbetrieb einer Ringkonfiguration (links) und Umleitung bei Unterbrechung beider Ringe (rechts) [3]

ZUSAMMENFASSUNG
Um den Anforderungen nach einer normativ geforderten, geringen Auslösezeit, der Aus-baufähigkeit und Flexibilität für verschiedenste Anlagenkonfigurationen nachzukommen, bieten Hersteller hochwertige zentrale und dezentrale Sammelschienenschutzsysteme an. Die prinzipiell einfach gestalteten, schnell arbeitenden Grundalgorithmen werden durch Maßnahmen wie Haltestrom-, Checksummenbildung und Sättigungserkennung gegen Fehlauslösungen stabilisiert.
Die Abbildung der Schaltzustände beinhaltet auch eine Handhabung bei nicht plausiblen Stellungsrückmeldungen und anlagenspezifischen Totzonen. Für Leistungsschalterversagen werden entsprechende Schalterversageralgorithmen und für geerdete Systeme separate Erdschlussfalgorithmen angeboten. Bei den dezentralen Systemen werden die Feldgeräte herstellerabhängig über Stern- oder Ring-Lichtwellenleiter-Verbindungen an ein Zentralgerät angebunden.

Quellen

1 EN 62271-203 Hochspannungs-Schaltgeräte- und -Schaltanlagen, gasisolierte metallgekapselte Schaltanlagen für Bemessungsspannungen über 52 kV
2 Forum Netztechnik/Netzbetrieb im VDE, Leitfaden zum Einsatz von Schutzsystemen in elektrischen Netzen, FNN VDE, 2009
3 J. Schwarz, ELIN DRS-BB – Technisches Manual, Wien: VA TECH Elin, 2003
4 ABB AB, Produktdatenblatt Dezentraler Sammelschienenschutz REB500 8.2, Västerås, 2017
5
ABB AB, Technisches Handbuch Dezentraler Sammelschienenschutz REB500, Västerås, 2017
6 ALSTOM, Betriebsanleitung Digitaler Sammelschienen-Differentialschutz P74x/DE M/I65, ALSTOM, 2011
7 Schneider Electric, Easergy MiCOM P746 Numerical Busbar Protection P746/EN M/M82, Rueil-Malmaison, Frankreich, 2017
8 ABB AB, Sammelschienenschutz REB670 2.0 IEC, Västerås, 2017  

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