AUTOMATISCHE PRÜFUNG MIT SYSTEMBASIERTEM ANSATZ

Aufgrund der unterschiedlichen Sammelschienentopologien in Anlagen ist jede Konfiguration des Schutzes und insbesondere die zugehörige Logik einmalig. Damit seine Funktion sicher gewährleistet werden kann ist die Prüfung des gesamten Sammelschienenschutzes vor der Inbetriebnahme unerlässlich.

von C. Pritchard Datum 11.11.2019

Spezialschutz

Die Hauptschutzfunktion eines Sammelschienenschutzes übernehmen Differenzialschutzelemente. Diese Elemente verwenden in der Regel eine Stabilisierungskennlinie - siehe Abb. 1.

Abb. 1 Stabilisierungskennlinie


Für die selektive Auslösung, zum Beispiel bei einer Doppelsammelschiene, bildet der Schutz die Topologie der Sammelschiene mittels der Trenner- und Leistungsschalterposition nach. Häufig wird eine zusätzliche Checkzone eingerichtet – siehe Abb. 2, um bei einem fehlerhaften Trennerabbild noch ausreichend Sicherheit zu garantieren.

Abb. 2 Unterschiedliche Sammelschienen-Zonen

Die Checkzone ist ein zusätzliches Differenzialschutzelement mit einer Zone, die alle Stromwandler (CT) enthält und unabhängig vom Trennerabbild anregen muss, bevor eine selektive Auslösung stattfindet [1]. Zur Vermeidung einer Überstabilisierung verwendet die Checkzone eine spezielle Logik zur Auswahl der Stabilisierungsgröße.

In modernen Prüflösungen kann die Charakteristik des Differenzialschutzelements nachgebildet werden. Entsprechend dem Prüfpunkt werden die Ströme von der Software berechnet, am Prüfgerät ausgegeben und die Auslösung beziehungsweise Nichtauslösung automatisch bewertet.

Um eine solche Kennlinienprüfung zu vereinfachen, werden häufig Kennlinienparameter verändert oder Elemente deaktiviert. Dieser Ansatz ist sehr gefährlich und fragwürdig. Er birgt die potenzielle Gefahr, dass der Schutz nach Abschluss der Prüfung in einem inkonsistenten Zustand verbleibt oder die tatsächlich in Betrieb befindliche Schutzlogik umgeht.

KOMPLEXITÄT MUSS BERÜCKSICHTIGT WERDEN
Mit Prüfung der Kennlinie kann ermittelt werden, ob das Relais entsprechend den Einstellwerten funktioniert. Dies alleine würde der Komplexität eines modernen Sammelschienenschutzes jedoch nicht gerecht. Folgende Prüfungen verlangen besondere Aufmerksamkeit:

  • Schutzlogik wie z. B. Schalterversagerschutz (LSV) und Fehlererkennung in toter Zone
  • Korrektes Trennerabbild
  • Zusammenwirken aller Elemente als ein Schutz
  • Richtige Stromwandler-Verhältnisse
  • Koordination mit Feld-, Abzweig- und Reserveschutz

Daher empfehlen wir eine systembasierte Prüfung als festen Bestandteil der Prüfung eines Sammelschienenschutzes.

SYSTEMBASIERTE PRÜFUNG
Eine systembasierte Prüfung verifiziert, ob das Schutzsystem unter realen Netzbedingungen korrekt funktioniert. Anstelle der Prüfung einer Kennlinie mit stationären Ausgangssignalen werden Netzfehler (oder andere Systembedingungen) mit einer Netzwerksimulation berechnet und direkt ausgegeben. Auf diese Weise lässt sich prüfen, ob das Schutzsystem
tatsächlich für das Netz, für das es ausgelegt wurde, funktioniert. Darüber hinaus kann eine systembasierte Prüfung viel Zeit bei der Vorbereitung und Durchführung sparen. Im Folgenden werden einige Kernkomponenten der systembasierten Prüfung beschrieben.

BERECHNUNG DES STROMS
Die Berechnung der Ströme erfolgt nahezu mühelos, unabhängig von der Komplexität der Sammelschienentopologie. Zur Nachbildung des Netzwerks kann die Sammelschienentopologie mit den Stromwandler-Verhältnissen, idealerweise mit den Kurzschlussströmen der Einspeiser, mithilfe eines grafischen Editors – siehe Abb. 3 -  eingegeben werden.

Abb. 3 Einzeilen-Editor

Durch Änderung des Lastflusses, das Platzieren von Fehlern und das Hinzufügen von Schalterereignissen berechnet die Netzsimulation die Stromsignale für alle Felder gleichzeitig.

SIMULATION VON TRENNSCHALTERN
Innerhalb eines Prüffalls können die Trenner direkt im Editor bedient werden. Dazu wird die korrekte Stromaufteilung automatisch simuliert. Darüber hinaus kann die systembasierte Prüflösung die Stellungsmeldungen der Trenner über Binärausgänge vorgeben, wodurch sich die Prüfung vollständig automatisieren lässt, ohne dass der Trennerkontakt vor jedem Prüfschritt manuell überbrückt werden muss. Dies reduziert Fehlerquellen und erhöht die Effizienz. Die erforderlichen Binärausgänge sind problemlos erweiterbar.

ARBEITEN MIT MEHREREN PRÜFGERÄTEN
Idealerweise wird dreiphasig in alle Felder gleichzeitig eingespeist. Je nach Anzahl der Felder und verfügbaren Prüfgeräte ist dies aber nicht immer möglich. Allerdings können bereits zwei sechsphasige Prüfgeräte in drei Abgangsfelder und ein Koppelfeld einspeisen und so wichtige Prüffälle durchführen. Das Arbeiten mit mehreren Prüfgeräten sieht dann wie in Abb. 4 gezeigt aus.

Abb. 4 Prüfaufbau für eine systembasierte Sammelschienenschutzprüfung

Die Signale werden nach der Berechnung in der Software auf ein oder mehrere Prüfgeräte übertragen. Anschließend setzt die Software die Startzeit für die Ausführung. Da alle Prüfgeräte zeitsynchronisiert sind, startet die Ausführung zum exakt selben Zeitpunkt. Nach der Ausführung senden die Prüfgeräte die gemessenen Binärereignisse an die Software zurück, wo sie ausgewertet werden. Alle Schritte lassen sich mit einer einzigen Software steuern und beginnen mit einem Klick auf die Start-Schaltfläche. Die sonst übliche manuelle Koordination der Benutzer, die zu Zeitunterschieden bei der Auslösung führt, oder ein getrenntes Prüfdokument pro Prüfgerät entfallen hier.

Die Prüfgeräte werden über eine PTP-Master-Zeitquelle synchronisiert. Durch Einsatz eines PTP-fähigen Ethernet-Switches können sich die Prüfgeräte ohne externe GPS-Antenne gegenseitig zeitlich aufeinander abstimmen. Gleichzeitig dient dieses Netzwerk der Kommunikation zwischen der systembasierten Prüfsoftware und den Prüfgeräten.

PRÜFUNG KOMPLEXER ZEITLICHER ABLÄUFE
Wird ein Aus-Kommando gesendet, erwartet der Sammelschienenschutz, dass der Stromfluss in bestimmter Zeit zu null wird, andernfalls würde ein Schalterversager erkannt. Deshalb muss die Prüflösung, falls sie eine selektive Auslösung prüfen will, das korrekte Verhalten von Strom und Leistungsschalter simulieren.

Die Fähigkeit einer Simulation, auf einen Befehl des zu prüfenden Systems zu reagieren, wird in der Regel als Echtzeitsimulation bezeichnet und ist typischerweise nur für das Labor geeignet. Eine geeignete Alternative ist der iterative Closed-Loop-Algorithmus – siehe Abb. 5.

Abb. 5 Beispielhafte Iterative-Closed-Loop-Sequenz

Als Beispiel soll ein angenommener Fehler auf der Sammelschiene dienen. Die Software berechnet mittels der Simulation einen Signalverlauf, bei dem nach 200 ms der Fehler eintritt. Der gesamte Signalverlauf ist 1 s lang. Er wird auf das Prüfgerät geladen und die Ausführung wird gestartet.

Der Sammelschienenschutz reagiert auf den Fehlereintritt mit einer selektiven Auslösung. Wegen des auf dem PC bereits berechneten Signalverlaufs würde der Strom aber nicht verlöschen. Der Algorithmus erkennt diesen Zustand und beendet die Iteration.

Nun wird der Signalverlauf automatisch neu berechnet, wieder mit einem Fehlereintritt nach 200 ms, diesmal gefolgt von einer Leistungsschalterauslösung mit der zuvor gemessenen Auslösezeit. Dieser neu berechnete Signalverlauf wird wieder auf das Prüfgerät geladen und die zweite Ausführung beziehungsweise Iteration gestartet.

Der Sammelschienenschutz reagiert auf den Fehlereintritt erneut mit einer Auslösung, welche diesmal bereits im Signalverlauf enthalten ist. Falls es nun weiter zu Ein-/Aus-Kommandos kommt, wird der Algorithmus erneut angewendet.

Die letzte Iteration erzielt dann ein ähnliches Ergebnis wie ein Echtzeitsimulator. Der Vorteil dieses Verfahrens liegt in seiner Einfachheit bei der Prüfung. Nach der Platzierung von Fehlern übernimmt der iterative Closed-Loop die gesamte Steuerung, ohne dass das Eingreifen des Prüfers erforderlich wäre. Abb. 5 zeigt ein Beispiel mit zwei Iterationen.

Nachfolgend wird ein kleiner Ausschnitt der Einsatzmöglichkeiten der systembasierten Prüfung gezeigt und wie sie sich in der Praxis bewährt.


FEHLER IN DER TOTEN ZONE
Für eine 100%ige Selektivität in Koppelfeldern werden in der Regel zwei Stromwandler auf jeder Seite des LS eingebaut, sodass sich die selektiven Zonen der Sammelschiene überlappen. Oft wird aber aus wirtschaftlichen Gründen nur ein Stromwandler verbaut, wodurch eine sogenannte tote Zone zwischen dem Stromwandler und dem Leistungsschalter entsteht - siehe Abb. 6.

Abb. 6 Fehler in der toten Zone

Moderner Sammelschienenschutz hat eine spezielle Logik, um Fehler in der toten Zone zu ermitteln. Dazu werden die LS-Hilfskontakte gemessen.

Für die Inbetriebnahme eines Sammelschienenschutzes mit toter Zone wurde ein Prüffall definiert, der verifizieren sollte, dass ein Fehler in der toten Zone bei offenem Kopplungsleistungsschalter zu einer Auslösung in Schnellzeit von Sammelschiene B führt. (Bei geschlossenem Leistungsschalter würde Sammelschiene A gefolgt von Sammelschiene B ausgeschaltet.) Bei der Prüfung löste der Schutz jedoch unselektiv aus. Dieser Fehler wurde anschließend in den Einstellungen des Sammelschienenschutzes behoben.

ZWEI FELDGERÄTE IM KOPPELFELD
Der folgende Fehler trat in einem dezentralen Sammelschienenschutz für eine Topologie mit Doppelsammelschiene und zusätzlicher Umgehungssammelschiene auf – siehe Abb. 7.

Abb. 7 Zwei Abzweiggeräte im Koppelfeld

Wegen der begrenzten Eingänge des ersten Feldgeräts wurde ein zweites Feldgerät im Koppelfeld installiert. Während der Inbetriebnahme schlugen die Prüffälle mit Fehlern in der toten Zone zunächst fehl. Die Ursache war, dass die LS-Hilfskontakte mit nur einem Feldgerät verbunden waren. Das Problem wurde behoben, indem die LS-Hilfskontakte auch mit dem zweiten Gerät verdrahtet wurden.

FAZIT
Eine Systemprüfung des modernen Sammelschienenschutzes ist unerlässlich, da die Komplexität dieses Schutzes sehr schnell zu Fehlern führen kann, die bei einer einfachen Prüfung sehr schnell übersehen werden. Das zeigen die beiden Beispiele deutlich. Eine spezielle systembasierte Prüflösung, beispielsweise mit Unterstützung durch den iterative Closed-Loop-Ansatz, vereinfacht die Durchführung solcher Tests maßgeblich.


QUELLEN
[1]     G. Ziegler, Numerical Differential Protection: Principles and Applications, Erlangen: Publicis Publishing, 2012.

ETAPPEN DER INNOVATION - GESCHICHTE DES SAMMELSCHIENENSCHUTZES

Die Entwicklung des Sammelschienenschutzes umfangreich erklärt von Walter Schossig.

weiterlesen

SAMMELSCHIENEN­DIFFERENTIALSCHUTZ - GRUNDLAGEN

Ein Sammelschienenfehler gefährdet die Netzstabilität mehr als irgendeine andere Fehlerart. Der Hauptzweck einer Sammelschienen-Schutzeinrichtung ist es, Netzzusammenbrüche durch Abschaltung der...

weiterlesen

LICHTBOGENSCHUTZ - Ausgabe 01/18

Hier können Sie die 1.Ausgabe 2018 zum Thema LICHTBOGENSCHUTZ als PDF herunterladen und einen Gesamteindruck vom NETZSCHUTZ Magazin bekommen.

weiterlesen