URSACHEN, AUSWIRKUNGEN UND MASSNAHMEN
Störlichtbögen in Schaltanlagen sind trotz aller konstruktiven Maßnahmen nicht völlig auszuschließen. Die nachfolgende Abhandlung zeigt, wie enorm die Auswirkungen für Mensch, Schaltanlage und die umgebenden Räume sind. Und in welchem Ausmaß diese mit Lichtbogenschutzsystemen reduzierbar sind.
Störlichtbögen in elektrischen Anlagen sind seltene Ereignisse. Statistisch wird bei luftisolierten Mittelspannungsanlagen von einem Fehler pro Jahr in einem von 10.000 Schaltfeldern, bei gasisolierten Anlagen von einem Fehler pro Jahr in einem von 100.000 Schaltfeldern ausgegangen [1]
URSACHEN
Die Ursachen für diese inneren Fehler können in drei Fehlerarten unterteilt werden [2]:
FEHLER BEI ENTWURF,
HERSTELLUNG UND MONTAGE
Falsche Bemessung und Dimensionierung wie abblasende Sicherungen oder zu geringe Abstände. Weiters können schadhafte Kontaktstellen und Fehler bei der Montage, z. B. fehlerhaft ausgeführte Kabelstecker oder -endverschlüsse, Fehlerursache sein.
FEHLER DES BETREIBERS
Handhabungsfehler und Unachtsamkeiten beim Bedienen und Arbeiten wie
z. B. unzulässiges Arbeiten unter Spannung sowie eine nicht sachgemäße Instandhaltung. Ein bekannter Fehler ist hier vergessenes Werkzeug nach Wartungsarbeiten.
FEHLER IM LANGZEITBETRIEB
Dazu gehören u. a. Korrosion von metallischen Materialien, Verschmutzung, Feuchtigkeit, Staub und Kleintiere, die in das Anlageninnere eindringen, sowie Überspannungen. Gegen Ende der Schaltanlagenlebensdauer wird die Alterung isolierender Materialien wie z. B. Durchführungen oder die mechanische Beanspruchung von Schaltelementen ein erheblicher Faktor.
AUSWIRKUNGEN UND FOLGEN
Ein Störlichtbogen gibt die während der Fehlerdauer umgesetzte elektrische Energie an seine Umgebung ab. Diese beträgt in Energieübertragungs- und -verteilnetzen bis zu einige zehn MW. Vergleichbar geringere Werte einer Niederspannungssimulation zeigt Abb. 1. Direkte Auswirkungen sind das Erwärmen, Aufschmelzen und Verdampfen von Wandmaterialien und Elektroden an Lichtbogenfußpunkten, chemische Reaktionen zwischen verdampftem Material und Umgebungsgas sowie das Aufheizen des Umgebungsgases und die daraus resultierende Druckerhöhung. Die Aufheizung des Gases führt zur Erzeugung eines Gasplasmas mit Temperaturen von ca. 10.000 °C, am Austrittspunkt sogar bis 20.000 °C. Dadurch kann zusätzlich das Material am Austrittspunkt verdampfen [3] und [4].
Abb. 1 Beispiel für den zeitlichen Verlauf von Lichtbogen-Leistung und -Energie [3]
Die entstehenden Drücke im Schottraum des Schaltfeldes werden über Druckentlastungsöffnungen an den Schaltanlagenraum abgegeben. Abb. 2 zeigt einen beispielhaften Druckverlauf in einem 1 m3 großen Schottraum einer Schaltanlage (LBR) und im Schaltanlagenraum (ER) mit 100 m3 Raumvolumen [3]. Dabei ist der Faktor Zeit für den Druckanstieg im Raum erkennbar. D. h., eine Verkürzung der Kurzschlussdauer kann in Abhängigkeit der Drucköffnungen und Raumvolumina zu geringeren Überdrücken führen.
Abb. 2 Druckverlauf [3]
Die vorangegangenen Auswirkungen haben verheerende Folgen auf Menschen und unmittelbare Umgebung [5]:
- Verletzungen und Verbrennungen,
- schwere Schäden an Schaltanlage,
- Schäden an benachbarten Anlagen,
- (Sekundär-)Schäden an Gebäude,
- Prozessstillstand.
Die räumliche Ausdehnung des Umgebungsgases bei einer hohen Kurzschlussdauer und die direkte Einwirkung auf Personen sind in Abb. 3 zu sehen. Das Bild zeigt, wie wichtig eine Reduzierung der Lichtbogendauer ist.
Abb. 3 Kurzschlussversuche mit einer Dauer von > 500 ms (www.westex.com)
Zum Schutz von Personen, zur Minimierung von Schäden und zur Sicherstellung des Anlagenbetriebs müssen diese Auswirkungen beherrscht werden. Normativ berücksichtigen dies:
- für Mittelspannungsanlagen: IEC 61936-1 (VDE 0101-1) und IEC 62271-200 (VDE 0671-200),
- für Niederspannungsanlagen: IEC/TR 61641 (VDE 0100-500 Beiblatt 2).
Unter anderem wird der rechnerische Nachweis der Druckfestigkeit von Schaltanlagen und Schaltanlagenräumen gefordert. Methoden und Gegenmaßnahmen werden nachfolgend beschrieben:
BERECHNUNG UND NACHWEIS DER DRUCKFESTIGKEIT
Es gibt einen Ansatz nach Pigler (1976), der einen mittleren Druck in einem Schaltanlagenraum nach einem Störlichtbogen abschätzt. Diese Druckabschätzung ist für geschlossene Räume als mittlerer Druck verwendbar, ist aber für Räume mit Druckentlastung sehr ungenau. Dieser Ansatz ist idealisiert. In dem Artikel von Pigler [2] wird eine Tabelle von zulässigen Drücken abhängig vom Material der Wände angegeben – siehe Tab. 1. Diese Tabelle basiert auf Erfahrungswerten einer 24 cm dicken Wand, die fest mit den angrenzenden Wänden und der Decke verbunden ist. Diese Werte sind nur ganz allgemeine Angaben und somit kann die Tabelle nur ein erster Anhaltspunkt für die Bewertung der Festigkeit sein.
Tab. 1 Richtwerte für zulässigen Überdruck in Bauwerken nach Pigler [2]
FINITE-ELEMENTE-BERECHNUNG
Moderne dynamisch-transiente Simulationsverfahren berechnen ortsaufgelöst die Druckspitzen über der Zeit an allen Wänden eines Raumes. Entlastungen werden mit ihrer örtlichen Lage und Größe berücksichtigt. Durch die Bestimmung des Druckes zu einer vorgegebenen Entlastungsöffnung kann der Raum bewertet werden. Ist der Druck zu groß, muss mit einer größeren Entlastungsöffnung nochmals der Druck bestimmt werden, bis dieser den Anforderungen genügt.
In der Druckentlastungsöffnung kann die Geschwindigkeit und damit der Volumenstrom über der Zeit ausgegeben werden. Ausgehend von der Berechnung sind dann bauseitig der Ort und die tatsächliche Öffnung in der Wand für die zu wählende Druckentlastung vorzusehen.
Eine 3D-Finite-Elemente-Berechnung berücksichtigt die o. a. Kriterien (Anlagenkörper/Absorber usw.) und berechnet den dynamischen Druck (Strömungsleistung = Druck x Volumenstrom) (Abb. 4 und Abb. 5) – [4]. Im Bereich der dunkelblauen Flächen in Abb. 5 werden Drücke von 29,6 mbar erreicht. Im Vergleich dazu sei der maximale Wert aus Tab. 1 für unbewährte Ziegelmauern von 3–10 mbar genannt.
Abb. 4 Modell für Druckberechnung mit finiten Elementen [4]
Abb. 5 Berechnungsergebnis– räumliche Druckverteilung [4]
GEGENMASSNAHMEN
Der Aufbau von fabriksfertigen und typgeprüften Schaltanlagen kann als optimiert und je nach Klassifikation als störlichtbogenfest betrachtet werden. Es bleibt der Umgang mit den an den Druckentlastungsöffnungen der Felder ausgeleiteten Gase und dadurch entstehenden Überdrücken.
Prinzipiell ist die schon zuvor erwähnte Druckentlastungsöffnung in einer Wand des Schaltanlagenraumes eine der wichtigsten Maßnahmen zur Druckreduktion. Sollten weiterhin zu hohe Überdruckwerte bestehen, werden diese durch angebaute Druckabsorber reduziert bzw. direkt von der Schaltanlage durch Druckentlastungskanäle nach außen oder in weniger kritische Bereiche umgeleitet.
Um der nicht völlig auszuschließenden Gefahr von Störlichtbögen trotz Gegenmaßnahmen zu begegnen, wird auch auf die Verwendung von Schutzkleidung bei Schalthandlungen verwiesen.
All die bisher beschriebenen Maßnahmen bieten Schutz vor oder gegen die unmittelbar nach Fehlereintritt vorhandenen Gefahren von Störlichtbögen.
SEKUNDÄRSCHUTZ
Eine Reduktion der Lichtbogendauer in Schaltanlagen wird nur durch Sekundäreinrichtungen möglich. Kostenintensive stromabhängige Schutzeinrichtungen wie der Sammelschienenschutz DI erreichen Detektionszeiten von > 20 ms. Lösungen mit Überstromzeitschutzstufen I>> können in Abgangsfeldern Werte > 25 ms erreichen, bei einem schaltanlagenweiten Ansatz ist an einer Einspeisung mit rückwärtiger Verriegelung kaum ein Wert unter 150 bis 200 ms möglich.
Mit deutlich geringeren Detektionszeiten zwischen 1 und 8 ms setzen moderne und deutlich günstigere Lichtbogenschutz-Einrichtungen an. Eine Lichtdetektion in Kombination mit der Erfassung des sprunghaften Stromanstiegs bietet die nötige Zuverlässigkeit und verhindert Fehlauslösungen. Weitere Informationen zu den derzeit verfügbaren Technologien finden Sie in unserem Artikel "Für jeden Fall das Richtige".
Die oben angegebenen Zeiten beinhalten noch keine Ausschaltzeiten eines Leistungsschalters. D. h., die komplette Fehlerklärungszeit, die sich aus Detektionszeit, ev. Relaisverzögerungen und Ausschaltzeit zusammensetzt, liegt höher. Das Primärschaltelement ist der entscheidende Teil der Kette.
PRIMÄRSCHALTELEMENTE FÜR LICHTBOGENLÖSCHUNG
Mittelspannungsleistungsschalter haben eine typische Ausschaltzeit von 60–80 ms, ältere Bauarten erreichen bis zu 100 ms. D. h., bei Einsatz eines Lichtbogenschutzsystems mit Leistungsschalter ist die Verzögerung im mittleren Bereich von Abb. 3. Für geschlossene Anlagen bedeutet dies eine wesentlich geringere Zerstörung innerhalb des Schottraumes. Die Lichtbogenenergie wird ebenso wie der Druck im Anlagenraum deutlich reduziert – siehe grüne Markierung in Abb. 1 und Abb. 2. Diese vereinfachte Betrachtungsweise soll nur die Größenordnung der Reduktionen vermitteln. Da jedoch nach 10 ms Lichtbogendauer ernsthafte Schäden im Feldinneren auftreten, kann die Ideallösung nur eine deutliche Reduktion der Ausschaltzeit sein. Folgende Komponenten bieten dazu Möglichkeiten:
KURZSCHLUSSSTROM (IS)-BEGRENZER
Der IS-Begrenzer besteht im Prinzip aus einem extrem schnellen Schalter, der einen hohen Nennstrom führen kann, aber über ein geringes Schaltvermögen verfügt, und einer parallel angeordneten Sicherung mit hohem Ausschaltvermögen. Um die gewünschte kurze Schaltereigenzeit zu erreichen, wird eine kleine Sprengladung als Energiespeicher zur Öffnung des Schalters verwendet. Nach Öffnung des Hauptstrompfads fließt der Strom noch über die parallel liegende Sicherung, wo er innerhalb von 0,5 ms begrenzt und dann im nächsten Spannungsnulldurchgang endgültig ausgeschaltet wird [7].
Abb. 6 Is-Begrenzer von ABB [7]
SCHNELLERDER/KURZSCHLIESSER
Bei diesen gibt es verschiedene Varianten. Gemeinsam ist allen, dass der Fehlerstrom nicht unterbrochen, sondern innerhalb kurzer Zeit sicher, meist 3-polig gegen Erdpotenzial geleitet wird und somit dem höherohmigen Lichtbogen die Energie entzieht – er verlischt. Die Abschaltung des über den Schnellerder der Kurzschließer fließenden Fehlerstromes erfolgt sicher durch den vorgelagerten Leistungsschalter. Beispielhaft seien folgende Produkte genannt – die Angaben wurden den Herstellerbroschüren entnommen:
- Ultraschneller Erdungsschalter (ABB UFES) bis 24 kV – Auslösezeit 4 ms
- Kurzschließer-Bolzen (Eaton ARCON) bis 0,7kV – Auslösezeit 2 ms – siehe Abb. 7
- Kurzschließer-Leistungselektronik (Köhl PART) bis 12 kV – Auslösezeit < 2 ms
Abb. 7 Kurzschließer für Niederspannung [8]
ZUSAMMENFASSUNG
Störlichtbögen sind prinzipiell sehr selten auftretende Ereignisse. Jedoch sind die Auswirkungen eines solchen inneren Fehlers für Bedienpersonal, Schaltanlage und Anlagenräume enorm. Die gültigen Vorschriften und Normen fordern entsprechende Planungen und Vorgehensweisen inkl. rechnerischen Nachweises der gesetzten Maßnahmen. Um im tatsächlich auftretenden Fehlerfall die Lichtbogenenergie und somit die Zerstörung zu reduzieren, sind moderne Lichtbogenschutzsysteme eine günstige Möglichkeit. Um den im günstigsten Fall zwischen 1–2 ms nach Fehlereintritt erfassten Lichtbogen rasch abzuschalten, sind Leistungsschalter mit Unterbrechungszeiten von 60–80 ms die langsamste Variante. Is-Begrenzer, Schnellerder und Kurzschließer unterbrechen in 2–10 ms.
Quellen
1 A. Franz, Störlichtbögen und ihre Auswirkungen, BULLETIN Electrosuisse, Nr. 21, S. 7–18, 2005
2 V. Pitz und J. Faber, Entstehung und Folgen von Störlichtbögen, FGH-Workshop, Tagungsband, Mannheim 2003
3 M. Schmale, Untersuchungen zur Beeinflussung des durch Störlichtbögen verursachten Überdrucks in elektrischen Anlagen, Aachen 2006
4 Technische Schriftenreihe – Ausgabe 7, Siemens AG, 2013
5 D. Brechtken, Störlichtbogenschutz in MS- und NS-Anlagen, Maintal 2014
6 F. Pigler, Energiewirtschaftliche Tagesfragen, 26. Jg., Heft 3, S. 94–98, 1976
7 ABB AG, Is-Begrenzer – Schnellstes Schaltgerät der Welt, Ratingen 2014
8 Eaton, ARCON® Störlichtbogenschutzsystem, Eaton, 2017 [Online]. Available: www.eaton.eu