Transformator­differential­schutz - SIMULATION VON SCHUTZ, STROMWANDLERN UND TRANSFORMATOR

Der Beitrag veranschaulicht die Wirkungsweise von Transformatordifferentialschutz-Algorithmen, die in einem modernen Schutzgerät zum Einsatz kommen. Die Korrektur der grundfrequenten Strommessung bei Wandlersättigung verspricht zukünftig eine weitere Reduktion der Stromwandler-Anforderungen.

von Wilhelm Fromm / Andreas Aebersold Datum 05.12.2018

Maschinenschutz

Die Arbeitsweise eines Transformatordifferentialschutzes wird im Folgenden anhand von Simulationen erläutert. Abb. 1 zeigt einen Ausschnitt des dafür verwendeten MATLAB/Simulink-Modells. Das Modell beinhaltet sowohl das elektrische Energienetz als auch den eingesetzten Schutz, einschließlich zeitgerechter digitaler Signalverarbeitung vom Stromwandler über die Schutzalgorithmen bis zu den Leistungsschalterkontakten [1].

Das Modell kann umfassend parametriert werden, beispielsweise bezüglich Schutzeinstellungen, Netz- und Transformatordaten, Fehlerarten, Stromwandler.

Abb. 1 Modell des Differentialschutzes (KOMBISAVE_Diff) für einen Drehstromtransformator

SIGNALVERARBEITUNG MIT DISKRETER FOURIER-TRANSFORMATION

Das Schutzgerät wird an die Sekundärströme des Anlagenstromwandlers angeschlossen. Ein weiterer geräteinterner Stromwandler liefert über einen Shunt stromproportionale Spannungen. Diese werden zunächst so vorgefiltert, dass Signalanteile oberhalb der halben Abtastfrequenz stark gedämpft werden. Die Analog-Digital-Umsetzung erfolgt dann mit einer Abtastfrequenz von 1 kHz. Es werden also 20 Werte pro Netzperiode T = 20 ms bei Nennfrequenz verarbeitet.

Die weitere digitale Signalverarbeitung erfolgt im Wesentlichen mittels FIR-Filtern für die diskrete Fourier-Transformation. Berechnet werden neben der Grundschwingung (1. Harmonische, 50 Hz) auch die 2., 3. und 5. Harmonische (100, 150 und 250 Hz).

Abb. 2 Amplitudenfrequenzgänge der verwendeten Fourierfilter (Real- und Imaginärteil)

Die resultierenden Amplitudenfrequenzgänge für die 1. und die 2. Harmonische zeigt Abb. 2. Man erkennt, dass die gewünschten Frequenzanteile durchgelassen werden und alle störenden Harmonischen und der Gleichstromanteil unterdrückt werden.

Das Verhalten der Strommessung im Zeitbereich illustriert Abb. 3 für die Auswertung der Grundschwingung eines leicht verlagerten Kurzschlussstroms, der zum Zeitpunkt t=0 eingeschaltet wird: Aus den Abtastwerten des Stroms i(t) werden zunächst Realteil (Re) und Imaginärteil (Im) bestimmt. Der resultierende Strombetrag |I| steigt entsprechend der Filterordnung innerhalb der ersten Periode nach Kurzschlussbeginn etwa auf den Effektivwert des stationären Stroms an. Durch den abklingenden Gleichstromanteil dauert das vollständige Einschwingen entsprechend der Abklingzeitkonstante etwas länger als 1 Netzperiode.

Abb. 3 Einschwingverhalten bei der 50-Hz-Auswertung (1. Harmonische) eines Kurzschlussstroms

TRANSFORMATORDIFFERENTIALSCHUTZ-ARBEITSWEISE

Hier wird zunächst ein Überblick über die Arbeitsweise des Transformatordifferentialschutzes gegeben, bevor in den folgenden Abschnitten einige technische Details vertieft werden. Abb. 4 illustriert und vergleicht für einen Yd5-Drehtstromtransformator die Differentialschutz-Arbeitsweise bei einem internen und einem externen Kurzschluss.

Die Kennlinie wurden mit typischen Werten wie folgt parametriert:

Idiff>= 0,2; mdiff= 0,5; bstab= 1,5; Idiff>>= 18.

Die übereinander angeordneten Zeitdiagramme stellen Folgendes dar:

  • Leiterströme der Oberspannungsseite (S1): Analoge Schutz-Eingangsgrößen (sekundärseitige Stromwandler-Größen, durchgezogene Linien) und die vom Schutz gewonnenen und weiterverarbeiteten Abtastwerte (Punkte, zu den jeweiligen Abtastzeiten).
  • Leiterströme der Unterspannungsseite (S2): Entsprechend S1 
  • Differenzströme Idiff und Stabilisierungsströme Istab , jeweils pro Phase 
  • Resultierende Binärsignale des Schutzes, insbesondere der Auslösebefehl Diff-AUS zur Ansteuerung des Leistungsschalters (ohne Berücksichtigung eines Schutz-internen Ausgangsrelais mit einer Schaltzeit von z. B. 2 ms)

Mit Simulationsbeginn ist der Transformator bereits eingeschaltet und belastet. Der Kurzschluss tritt zum Zeitpunkt t=0,04 s ein.

  • Beim internen Kurzschluss (Fehlerstelle KS2) gemäß Abb. 4a wird der Fehler in allen 3 Phasen erkannt, und der Auslösebefehl erfolgt in weniger als einer Netzperiode nach ca. 15 ms. 
  • Beim externen Kurzschluss (Fehlerstelle KS3) gemäß Abb. 4b erfolgt keine Auslösung, und die Logik signalisiert einen externen Fehler. Der Fehlerstrom verschwindet nach gut 3 Perioden, weil der Kurzschluss extern vom Netz getrennt wird.

Der Schutz verhält sich also wie angestrebt und erreicht Auslösezeiten von weniger als einer Netzperiode. 

Abb. 4a Typisches Verhalten des Differentialschutzes (Beispiele) – Dreipoliger interner Kurzschluss (1-seitig gespeist)

Abb. 4b Typisches Verhalten des Differentialschutzes (Beispiele) – Externer Kurzschluss (L1-L2)

AMPLITUDENANPASSUNG

Ein Transformator mit den Windungszahlen w1 (Primärseite) und w2 (Sekundärseite) transformiert nicht nur die Spannungen entsprechend dem Transformator-Übersetzungsverhältnis – Gl. 1:

sondern auch die Ströme zwischen Primär- und Sekundärseite – Gl. 2:

Anzumerken ist, dass zusätzlich die Übersetzungsverhältnisse aller beteiligten Stromwandler zu berücksichtigen sind.

Für den Differentialschutz bezieht man alle auszuwertenden Ströme auf eine Seite (z. B. Seite 1, Oberspannung) und bildet den Differenzstrom dementsprechend als Gl. 3:

Bei Transformatoren mit Stufenschaltern können je nach Schalterstellung mehr oder weniger große Fehlanpassungen auftreten. Daraus kann im fehlerfreien Betrieb ein Differenzstrom mit einer Streuung des Differentialschutz-Ansprechwerts resultieren. Beispielhaft ist ein Bereich für Stufenschalterstellungen von ca. -15 % ... +15 % angedeutet. Normalerweise kann der Schutz trotzdem mit ausreichender Ansprechempfindlichkeit parametriert werden. Eine adaptive Schutzeinstellung ist denkbar, aber in der Regel nicht erforderlich.

SCHALTGRUPPENANPASSUNG

Ein direkter Vergleich der Leiterströme verschiedener Enden eines Drehstromtransformators würde im Allgemeinen schon im fehlerfreien Betrieb zu beträchtlichen Differenzströmen führen. Die korrekte Funktion des Differentialschutzes kann jedoch erreicht werden, indem die durch die Schaltgruppe definierte Phasenverschiebung und damit die Verkettung der Ströme kompensiert wird. Dies wird am Beispiel der häufigen Schaltgruppe Yd5 in Abb. 5 illustriert.

Abb. 5 Auswirkung der Transformator-Schaltgruppe auf die gemessenen Leiterströme (Beispiel Yd5)

Im fehlerfreien Betrieb ist die Summe der Durchflutungen eines Transformator-Schenkels etwa null, wenn der relativ kleine Magnetisierungsstrom vernachlässigt wird. So gilt entsprechend Abb. 5 beispielsweise für den ersten Schenkel unter Annahme gleicher Spannungen auf beiden Seiten – Gl. 4:

Zum Vergleich werden in der „Phase 1“ (entsprechend dem ersten Schenkel) also folgende Ströme herangezogen – Gl. 5:

Für die beiden anderen „Phasen“ beziehungsweise Schenkel arbeitet der Differentialschutz entsprechend, wobei sich die Indizes der ausgewerteten Ströme durch zyklische Vertauschung ergeben.

Der Stromvergleich wird also immer in Bezug auf die Ströme der Dreieckseite durchgeführt. Das Prinzip ist für alle auftretenden Schaltgruppen geeignet, auch für Transformatoren mit Zickzack-Schaltung.

NULLSTRÖME

Bei Transformatoren mit geerdetem Sternpunkt kann Strom über die Erdungseinrichtung fließen, der normalerweise vom Differentialschutz nicht erfasst wird. Dadurch darf weder eine Überfunktion bei unsymmetrischen Betriebs- und Fehlerfällen noch eine Unterfunktion bei internen Fehlern verursacht werden.

Die von verschiedenen Herstellern in der Praxis eingesetzten Verfahren unterscheiden sich insbesondere bei unsymmetrischen Strömen mit Erdstromanteilen bzw. Nullstromanteilen [3]. Verfahren, die lediglich die Phasenverschiebungen im symmetrischen Betrieb korrigieren, benötigen eine zusätzliche Elimination der Nullströme. Diese Korrektur mit Hilfe des Nullstroms führt jedoch zu Empfindlichkeitseinbußen bei einpoligen Fehlern, und fehlerhafte Wicklungen sind noch schwerer zu lokalisieren.

Die im Abschnitt „Schaltgruppenanpassung” beschriebene Schaltgruppenanpassung basiert auf den Durchflutungen der Transformatorschenkel. Somit stimmt der Stromvergleich auch bei eventuellen Sternpunktströmen (Nullstrom, Erdstrom). Das ermöglicht eine hohe Stabilität bei externen Fehlern und gleichzeitig eine gute Ansprechempfindlichkeit bei internen Fehlern.

Durch den Bezug der Differenzstrommessung auf die Dreiecksseite des Transformators ist eine Nullstromelimination nicht notwendig und normalerweise auch nicht sinnvoll. Nur wenn sich ein separater Sternpunktbildner innerhalb der Schutzstrecke befindet, ist eine Nullstromelimination erforderlich und möglich.

Eventuelle Nullströme auf der Stern-Seite des Transformators werden vom Differentialschutz erfasst und ausgewertet. Damit wird eine sehr gute Ansprechempfindlichkeit auch bei Erdströmen erreicht. Ein separater Nullstromdifferentialschutz oder ähnliche Maßnahmen zur Detektion von Erdfehlern sind dementsprechend in der Regel nicht erforderlich.

TRANSFORMATOR-MAGNETISIERUNGSSTROM UND EINSCHALTVORGANG

Im normalen stationären Betrieb eines Transformators betragen seine Magnetisierungsströme höchstens einige Prozent seines Bemessungsstroms und sind damit für den Differentialschutz unkritisch.

Bei transienten Vorgängen kann der Transformatorkern stärker magnetisiert werden, insbesondere beim Einschalten des Transformators (Inrush, Einschaltstrom, Rushstrom). Die resultierenden Magnetisierungsströme können ein Vielfaches der Betriebsströme betragen und dürfen bei fehlerfreien Transformatoren dennoch nicht zu einer (Fehl-)Auslösung führen.

Transformator-Einschaltvorgänge (Beispiele)
Die auftretenden Leiterströme und das Schutzverhalten beim Einschalten des Transformators werden in Abb. 6 für 2 ausgewählte Beispiele untersucht:

  • Abb. 6a zeigt einen Fall ohne Laststrom und einen hinzukommenden externen 2-poligen Kurzschluss
  • Abb. 6b zeigt einen Fall mit Laststrom und einen hinzukommenden einseitig gespeisten internen Kurzschluss L1-L2 auf der Unterspannungsseite

Abb. 6a Transformator-Einschaltvorgänge (Beispiele) – Einschaltvorgang ohne Last und hinzukommender externer Kurzschluss L1-L2

Abb. 6b Transformator-Einschaltvorgänge (Beispiele) – Einschaltvorgang mit Last und hinzukommender interner Kurzschluss L1-L2

Das Einschalten des Transformators geschieht zum Zeitpunkt t=0, bevor nach 2 fehlerfreien Perioden mit t=0,04 s der Kurzschluss eintritt. Sowohl bei externem Fehler wie auch bei internem Fehler reagiert der Schutz richtig. Die Auslösezeit beim internen Fehler bleibt trotz der vorangegangenen Inrush-Blockierung unter 1 Netzperiode.

Der Differentialschutz löst die Einschaltstrom-Problematik nach folgendem Prinzip:

  • Ausgewertet wird das Verhältnis der 2. zur 1. Harmonischen im Differenzstrom: Idiff, H21. Dabei wird für die 2. Harmonische der Mittelwert der 3 Phasengrößen benützt und für die 1. Harmonische der betragsgrößte Phasenwert. Damit wird die 2. Harmonische immer ausreichend bewertet. Eventuelle interne Kurzschlussströme weisen einen großen Grundschwingungsanteil auf und sorgen damit für relativ kleines Idiff, H21, sodass eine deutliche Unterscheidung zum reinen Einschaltstrom ermöglicht wird. 
  • Die Auslösung wird bei Überschreiten eines Schwellwerts blockiert: Idiff, H21 > InrushH21 (Inrushsperre). Ein typischer Einstellwert ist InrushH21=0,15. Das Verhältnis Idiff, H21 ist charakteristisch für den Transformator als Ganzes und nicht nur für einzelne Phasen. Eine Parametrierung für die Verknüpfung der Blockierung einzelner Phasen ist nicht erforderlich. 
  • Für große Differenzströme Idiff > IRush, max wird die Inrushsperre unwirksam gemacht. Der Parameter IRush, max ist so zu wählen, dass er von einem reinen Einschaltstrom nicht erreicht wird. Die Einstellung bezieht sich auf den grundfrequenten Differenzstromanteil (1. Harmonische), sodass IRush, max = 3 IN trotz größerer Momentanwert-Spitzen als typischer Einstellwert verwendet werden kann.

Damit wird einerseits eine sichere Blockierung bei Einschaltvorgängen erreicht. Wenn andererseits ein Transformatorfehler gleichzeitig mit dem Einschalten oder während des Einschaltvorgangs auftritt, ergibt sich dennoch eine gute Ansprechempfindlichkeit.

Abb. 7 illustriert die Schutz-interne Wirkungsweise der Inrushsperre für den Einschaltvorgang mit Last und hinzukommendem internen Kurzschluss L1-L2 (entsprechend Abb. 6b). Wie angestrebt, wird zunächst der Einschaltstrom sicher erkannt. Nach Kurzschlusseintritt verschwindet einerseits die Blockierung durch die 2. Harmonische und gibt die Auslösung entsprechend der Differentialschutz-Kennlinie frei. 

Abb. 7 Einschaltstrom-Erkennung und Inrushsperre

Auch das Auslösekriterium für große Differenzströme (IRush, max) kann zur Wirkung kommen.

Ähnliche Effekte wie beim Einschalten von Transformatoren sind auch bei Schaltvorgängen beispielsweise mit Phasensprüngen in der Spannung möglich. Die Auswertung der 2. Harmonischen im Differenzstrom verspricht unabhängig von der Ursache ein korrektes Verhalten des Schutzes.

Bei überhöhten Transformatorspannungen treten ebenfalls stark überhöhte Magnetisierungsströme auf. Eine Sperre gegen Differentialschutz-Fehlauslösungen in diesen Fällen funktioniert ähnlich wie die Inrushsperre, jedoch wird als Blockier-Kriterium ein zu hoher Anteil der 5. Harmonischen im Differenzstrom herangezogen.

AUSWIRKUNGEN VON STROMWANDLERSÄTTIGUNG

Die vom Differentialschutz auszuwertenden Ströme werden in der Regel von induktiven Stromwandlern geliefert. Im Bemessungsbetrieb ist die Genauigkeit für betriebsfrequente Vorgänge bei Weitem ausreichend. Es treten aber auch Fälle auf, bei denen mit stark verfälschten Sekundärströmen in Folge einer Sättigung der Wandlerkerne gerechnet werden muss. Diese sind für den Differentialschutz besonders  relevant, zumal dadurch sowohl Unter- wie auch Überfunktion verursacht werden können. Typische Ursachen sind:

  • Die Kurzschlussströme können größer werden, als bei der Auslegung der Stromwandler vorgesehen. 
  • Ströme können abklingende Gleichstromanteile enthalten, die von Stromwandlern nicht korrekt übertragen werden. 
  • Je nach Einschaltzeitpunkt bzw. -winkel wird die erste Periode des Stromverlaufs auch dann stark verfälscht, wenn stationär keine Sättigung auftritt. 
  • Die Remanenz der Wandlerkerne kann schon in den ersten Millisekunden nach Fehlerbeginn zu sehr starker Sättigung führen, auch wenn das entsprechend der Wandlerdimensionierung für stationäre Vorgänge nicht zu erwarten wäre. 
  • Ein besonders kritischer Fall für die Anfangsmagnetisierung sind automatische Wiedereinschalt-Vorgänge, weil dabei abklingende Gleichstromanteile im letzten Fehlerstrom in Verbindung mit kurzen Pausenzeiten auftreten können.

Beispiele für die Arbeitsweise des Differentialschutzes bei Stromwandlersättigung in Verbindung mit internen und externen Kurzschlüssen werden in Abb. 8 gezeigt.

  • Abb. 8a zeigt den Fall eines internen Fehlers: Alle Ströme auf der einspeisenden Seite werden deutlich zu klein gemessen. Dennoch bleiben die gemessenen Differenzströme groß genug, es gibt keine ungewollte Stabilisierung, und die Auslösung erfolgt wie gewünscht. 
  • Abb. 8b zeigt den Fall eines externen Fehlers: Während auf der Oberspannungsseite S1 die Ströme unverfälscht zur Verfügung stehen, sind die Stromwandler auf der Unterspannungsseite stark gesättigt. Dementsprechend treten große Differenzströme auf, die aber dank der immer noch ausreichenden Stabilisierungsströme zu keiner Auslösung führen. 

Abb. 8a Beispiele für Stromwandlersättigung bei internem und bei externem Kurzschluss – Dreipoliger interner Kurzschluss (1-seitig gespeist)

Abb. 8b Beispiele für Stromwandlersättigung bei internem und bei externem Kurzschluss – Externer Kurzschluss (L1-L2)

GENAUE STROMMESSUNG MIT KORREKTUR DER WANDLERSÄTTIGUNG

Der hier beschriebene Differentialschutz arbeitet im Wesentlichen mit der Grundschwingung der gemessenen Leiterströme und beherrscht die möglichen Sättigungseffekte bei Stromwandlern gemäß dem Abschnitt „Auswirkungen von Stromwandlersättigung”. Ziel aktueller Entwicklungsprojekte ist eine genaue Messung von Betrag und Winkel der Strom-Grundschwingung auch in allen Fällen von schwacher bis sehr starker Stromwandlersättigung [5]. Dabei wird ein komplexer Korrekturwert auf die gemessene Grundschwingung angewendet, der sich aus dem Gehalt der Harmonischen ergibt.

Abb. 9 illustriert beispielhaft die Korrektur für einen Kurzschlussstrom:

  • Der unverfälschte Strom (d.h. ohne Sättigung) hat einen Effektivwert von 5 A, der transiente Gleichstromanteil beträgt 80 Prozent bei einer Abklingzeitkonstante von 50 ms 
  • Der beispielhafte Stromwandler kann stationär 20 A ohne Sättigung übertragen (Grenzgenauigkeitsfaktor ALF=20).
  • Trotz eigentlich überdimensioniertem Wandler tritt (relativ spät) eine Sättigung auf, die entsprechend dem Gleichstromanteils nur langsam wieder verschwindet. 
  • Der Betrag des korrigierten Sekundärstroms steigt vor Sättigungsbeginn so an, als wäre keine Korrektur wirksam. Auch nach Sättigungseintritt bleiben Betrag und Winkel sehr nahe und für typische Schutzanwendungen ausreichend am idealen Wert. Eine auf der Auswertung der Strom-Grundschwingung basierende Schutzfunktion kann also trotz Sättigung genau messen.

Auch bei anderen Fällen als dem in Abb. 9 ist eine sehr schnelle und genaue Messung gegeben, insbesondere bei starker und früh eintretender Sättigung (entsprechend dem in [5] gezeigten Beispiel).

Der Einsatz des Korrekturverfahrens verspricht also eine völlig unproblematische und einfache Wandlerauslegung: Selbst mit unterdimensionierten Wandlern werden schnelle Auslösungen bei internen Fehlern erreicht, während die Gefahr einer Überfunktion bei externen Fehlern noch kleiner wird.

Die Differentialschutz-Blockierung bei Einschaltvorgängen erfolgt weiterhin über die Bewertung der Differenzstrom-Oberschwingungen. Eine Strom-Korrektur bei Sättigungseffekten in Verbindung mit Transformator-Einschaltströmen wird nicht angestrebt.

Abb. 9 Simulierte IED-Strommessung bei Stromwandlersättigung: Verhalten im Zeitbereich, Stromwerte in Ampere auf die Wandler-Sekundärseite bezogen

EINSATZ DER SCHUTZALGORITHMEN IN REALEN SCHUTZGERÄTEN

Die in den gezeigten Simulationen eingesetzten Algorithmen wurden direkt in die Software aktueller Schutz- und Steuergeräte [1] umgesetzt. Die Geräteprüfung zeigt eine praktisch vollständige Funktionsgleichheit mit den Simulationsergebnissen. Erste Betriebserfahrungen mit der Differentialschutz-Funktion zeigen das erwartete und erwünschte Verhalten.

Der Schutz kann damit sehr umfassend geprüft werden, je nach Anforderung mit unterschiedlichen Schwerpunkten:

  • Prüfungen mit dem realen Schutzgerät, z.B. für Typentests oder den Test von Kommunikationsschnittstellen bei Schutz-Ereignissen. 
  • Simulationstests, z.B. für die Entwicklung von Schutzalgorithmen oder für die Untersuchung des Schutz-Verhaltens bei transienten Vorgängen im Hochspannungsnetz (entsprechend einem „digitalen Zwilling“).

Als Schnittstelle zwischen Simulation und realen Geräten ist der Einsatz von COMTRADE-Dateien hilfreich:

  • Reale Störschreiberaufzeichnungen können für die Simulation des Schutzgeräts verwendet werden Reale Schutzgeräte können mit Analogsignalen aus der Netzsimulation getestet werden.

Die beschriebene Differentialschutzfunktion kann mit relativ kleinen technischen Anpassungen für weitere Anwendungen eingesetzt werden, zunächst für den Schutz von Leitungen (optional mit Transformator in der Schutzstrecke) oder für einen Drei-Enden-Differentialschutz.

Quellen

1 Gerätebeschreibung NSE KOMBISAVE: www.nse.ch/fileadmin/Redakteure/PDF/Produkte/KOMBISAVE/KOMBISAVE-2018-DE.pdf, November 2018
2 W. Fromm; J. Bertsch, Simulation für Schutz und Steuerung in Hochspannungsanlagen, Bulletin SEV/VSE, Ausgabe 24/25 05, 2005, S. 46-50
3 J. Herrmann, Digitale Schutztechnik. Grundlagen, Software, Ausführungsbeispiele. VDE Verlag, Berlin, 1997
4 G. Ziegler, Digitaler Differentialschutz. Grundlagen und Anwendung, Erlangen, 2. Auflage 2013
5 W. Fromm, Genaue Strommessung trotz Wandlersättigung. In ew Magazin für die Energiewirtschaft, Jg. 118 (2018), H. 3-4, S. 44-48

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