Transformatordifferentialschutz - PHASENSCHIEBERTRANSFORMATOREN
Bei Schräg-/Querreglertransformatoren besteht die Gefahr einer Fehlabschaltung des Differentialschutzes bei 2-poligen außenliegenden Fehlern. Zur Prüfung des Differentialschutzes müssen, unabhängig von der Lösung des 2-poligen Problems, die Prüfgrößen ermittelt werden. Zur Bestätigung des Gesamtsystems wird ein Kurzschlussversuch gemacht.
KURZBESCHREIBUNG
Die Vorarlberger Energienetze GmbH liegen im Dreiländereck Deutschland-Österreich-Schweiz.
Durch die großen Pumpspeicherkraftwerke der Vorarlberger Illwerke ändern sich die Stromrichtungen (Pump-/Turbinenbetrieb) ständig. Aus Sicht der Pumpspeicherkraftwerke ist die Netzimpedanz im Schweizer Rheintal niedriger als die des süddeutschen Raumes. Daher fließt der Strom nicht immer da, wo ihn Verträge oder Händler vorgesehen haben. Zudem trennt die Grenze zur Schweiz zwei Regelblöcke und ist EU-Außengrenze (Import/Export).
Aufgrund der großen Transitleistungen gibt es Probleme in den regionalen 110-kV-Netzen. Aus diesen Gründen sind in unserem Netzgebiet zwei Querreglertrafos in Betrieb.
Schneider Electric wies uns darauf hin, dass es bei 2-poligen außenliegenden Fehlern zu Problemen mit dem Differentialschutz kommen kann.
In Zusammenarbeit mit Schneider Electric und der Technischen Universität Graz erarbeiteten wir eine Lösung für diese Problematik.
AUFBAU DER QUERREGLERTRAFOS
Abb. 1 & 2 zeigen die Innenschaltung und das Vektordiagramm der Einkessel-Ausführung,
Abb. 3 & 4 die der Zweikessel-Variante.
Abb. 1 Schaltbild Einkesselausführung 220/110 kV 300 MVA
Abb. 2 90°-Drehung beim Einkesseltrafo – eine fremde Phase nötig
Abb. 3 Schaltbild Zweikesselausführung 410/235 kV 450 MVA
Abb. 4 90°-Drehung beim Zweikesseltrafo – zwei fremde Phasen nötig
PROBLEM BEIM 2-POLIGEN AUSSENLIEGENDEN FEHLER
Abb.5: Durch die Wicklungsverschaltung für die Winkeldrehung fließt in der nicht beteiligten Phase der OS-Wicklung ein Strom. Der Differentialschutz berechnet pro Phase die Diff- und Stabilisierungswerte. Durch die Schaltgruppe Yy0 wird in der nicht beteiligten Phase keine Stabilisierungsgröße berechnet. Tatsächlich fließt jedoch ein Strom, der zur Auslösung des Schutzes führen kann.
Abb. 5 Ströme bei 2-pol. Fehler
SCHUTZTECHNISCHE REALISIERUNG
Wie in der Fachliteratur beschrieben, wurde hier eine Lösung mit einem Dreibein-Differentialschutz realisiert. Zusätzlich zu den üblichen Funktionen des Differentialschutzes wurde hier speziell auf den stabilen Betrieb bei 2-poligen außenliegenden Fehlern geachtet – Abb.6.
Abb. 6 Zum Einsatz kam ein Standard P633 von Schneider Electric
Der Wandlerstrom der Sekundärseite des Trafos wird im Differentialschutz auf das Bein B und in Serie auf das Bein C geschaltet – Abb.7.
Abb. 7 Stromwandlerbeschaltung
Durch diese Anordnung berechnet der Differentialschutz nun auch in der nicht betroffenen Phase eine Stabilisierungsgröße. Über Binäreingänge wird dem Schutzgerät mitgeteilt, in welcher Stellung der Stufenschalter steht. Bei Mittelstellung Stufe 9 +/-1 Stufe wird das Bein C deaktiviert. Bei Stufe 1 bis 7 wird die Schaltgruppe Yy8 und bei Stufe 11 bis 17 die Schaltgruppe Yy4 für das Bein C vorgegeben. Die Parametersatzumschaltung erfolgt auch unter Nennlast und ohne Neustart des Schutzgerätes – Abb.8.
Bei Ausfall oder unplausiblem Binäreingangszustand wird auf den vordefinierten Parametersatz 1 geschaltet.
Abb. 8 Die Stufenschalterstellung wird über Binäreingänge eingelesen
ERMITTLUNG DER PRÜFGRÖSSEN
GRAFISCHE ERMITTLUNG ÜBER STROMVEKTORPFEILE
Zum Zeitpunkt der Inbetriebnahme stand nur dieses Verfahren zur Verfügung. Über Stromvektorpfeile, die in das Trafoschaltbild eingezeichnet werden, wird die Stromaufteilung auf die einzelnen Wicklungsteile festgestellt. Die Stromaufteilung der einzelnen Wicklungsanteile ist pro Grad Winkeldrehung linear. Dieses Verhalten wird in einem Excelfile hinterlegt. Nun werden die Stufenstellungen (Längs- und Querreglerstufen) vorgegeben und das Ergebnis enthält die 2-poligen Ströme und Winkel, die für das Prüfgerät (CMC 256) zur Fehlersimulation benötigt werden. Abb.9, Abb.10.
Abb. 9 Stromvektoren mit virtuellem Bein C
Abb. 10 Excelblatt zur Ermittlung der Prüfgrößen
MATHEMATISCHES MODELL DER TU GRAZ
Die TU Graz erstellte für den 300-MVA-Trafo (Abb. 1) eine Bachelor Arbeit (P. Baumgartner; W. Lickinger, Differentialschutz am Querreglertransformator, Bachelorarbeit, Technische Universität Graz, 2016).
Diese Arbeit bestätigt zum einen, dass es bei 2-poligen außenliegenden Fehlern zur Fehlfunktion des Differentialschutzes kommt. Des weiteren wird darin eine Formel zur Berechnung der Prüfgrößen beschrieben.
Zu diesem Thema wurde auf AWT 2016 ein Vortrag von Prof. Fickert (TU Graz) präsentiert.
BERECHNUNG MIT RELAYSIMTEST
Die Firma Omicron hat die Software RelaySimTest um die Funktionalität zur Prüfung von Querreglertransformatoren erweitert. Durch Eingabe der Trafoparameter werden über die Software direkt die Prüfgrößen ermittelt – Abb. 11.
Abb. 11 RelaySimTest Oberfläche
KURZSCHLUSSVERSUCH
KURZSCHLUSSVERSUCH AUFBAU
Zur Bestätigung der getätigten Überlegungen und Berechnungen haben wir einen Kurzschlussversuch durchgeführt.
Die Bereitstellung von 220-kV-Stromkreisen und eines geeigneten Kraftwerks stellt einen erheblichen Aufwand dar. Aus diesem Grund haben wir uns entschieden, ein mobiles Dieselnotstromaggregat und Ortsnetztransformatoren aus unserem Netzstörungspool zu verwenden.
Die Vorgabe war: Einspeisung auf der 220-kV-Seite, Kurzschluss auf der 110-kV-Seite. Um entsprechende Messgrößen für das Schutzgerät zu erhalten, wurde der Strom auf der 220-kV-Seite mit 100 A festgelegt. Dies bedeutet eine Spannung von ca. 3,3 kV. Die Prüfanordnung sollte auf einem Lkw-Anhänger Platz finden, um damit in die Anlage fahren zu können – Abb. 12.
Abb. 12 Prüfaufbau des Kurzschlussversuchs
KURZSCHLUSSVERSUCH ERGEBNIS
Bei dem Kurzschlussversuch wurden 3-, 2- und 1-polige außenliegende Fehler durchgeführt. Die Messergebnisse aus dem Differentialschutz und hier speziell die IDiff- und IHalte-Werte wurden in ein Auslösediagramm eingegeben und dann auf die maximal übertragbaren Stromgrößen entsprechend der uk des Trafos hochgerechnet – Abb. 13. Die nicht fehlerbeteiligte Phase führt zur Auslösung des Differentialschutzes – Abb. 14.
Der Differentialschutz ist bei allen durchgeführten Versuchen mit der Korrektur des virtuellen Beines C stabil.
Abb. 13 Fehler L1-L2 Verhalten des Differentialschutzes ohne virtuelles Bein C bei voller Winkeldrehung
Abb. 14 Fehler L1-L2 Verhalten des Differentialschutzes mit virtuellem Bein C bei voller Winkeldrehung
TRAFOMODELL
Im Zuge der Lehrlingsausbildung in unserem Betrieb haben wir ein Projekt gestartet. Dabei bauen wir diese beiden Querreglertrafos als Modell. Auf einem Drehstrom-Eisenkern werden auf mittels 3D-Drucker erstellten Spulenkörpern die Wicklungen analog zum Original gewickelt. Die Einzelwicklungen werden auf Buchsen geführt, damit diverse Messungen vorgenommen werden können – Abb.15.
Abb. 15 Frontplatte des Trafomodells mit Einkesselausführung
RESÜMEE
Nach der Feststellung, dass es bei 2-poligen außenliegenden Fehlern zur Fehlfunktion des Differentialschutzes kommt, ist die Korrektur über das virtuelle Bein C ein praxistaugliches Verfahren mit geringem Aufwand. Die Prüfung stellt eine Herausforderung hinsichtlich der Generierung der Prüfgrößen für 2-polige Fehler dar. Mittels RelaySimTest wird dieses Problem relativ einfach gelöst.
In Abb. 16 sieht man fettgedruckt die Messwerte aus dem Schutz (Strom und Winkel). In Rot die Werte aus den Vektorberechnungen und in Grün die Werte aus den Berechnungen der TU Graz. Zu diesem Zeitpunkt stand das Modul für RelaySimTest noch nicht zur Verfügung. Nachträgliche Berechnungen mittels RelaySimTest bestätigten die Messergebnisse.
Dieser Artikel wurde bei der Omicron-Anwendertagung 2017 präsentiert.
Abb. 16 Vergleich der Messwerte mit den berechneten Werten.
Quellen
1 P. Baumgartner; W. Lickinger, Differentialschutz am Querreglertransformator, Bachelorarbeit, Technische Universität Graz, 2016
2 Schneider Electric Energy – Micom Px3x Reihe – Applikationshilfe 2011
3 Siemens PTD EA Case Studies 2005