Transformator­differential­schutz - GRUNDLEGENDES UND ZUSATZFUNKTIONEN

Der vom Prinzip einfache Stromvergleichsschutz wird durch den Einsatz von Falschstrom-, Einschaltstabilisierung und Nullstromeliminierung zu einem höchst zuverlässigen und stabilen Instrument bei innenliegenden Transformatorfehlern. Einige Hinweise für den Einbau und Betrieb sind dabei zu beachten.

von Walter Schossig Datum 05.12.2018

Maschinenschutz

WIRKUNGSWEISE

Der Differentialschutz – oder, wie er auch richtig bezeichnet wird, „Differenzialschutz“ bzw. kurz „Diff.-Schutz“ – vergleicht die in das Schutzobjekt (Leitung, Generator, Motor oder Transformator) hineinfließenden mit den herausfließenden Strömen. Bei letzteren wird das Übersetzungsverhältnis des Transformators und dem ober- und unterspannungsseitig vorhandenen Stromwandlersatz bei der Relaiseinstellung berücksichtigt, sodass immer die sich ergebende Stromdifferenz ein Kriterium für die Fehlererfassung darstellt. Ein durch den Transformator fließender Last- oder Kurzschlussstrom ergibt im Auslösesystem A einen resultierenden Strom von etwa null – Abb. 1a. Bei einem innenliegenden Fehler addieren sich die Ströme i1 und i2, regen das Auslösesystem A an und führen zur unverzögerten ober- und unterspannungsseitigen Leistungsschalterauslösung– Abb. 1b.

Bei Dreiwicklern bzw. gespreizter Wicklung müssen natürlich alle weiteren Transformatorschalter auch ausgelöst werden.

Abb. 1 Differentialschutz – Prinzip
a) (oben) Arbeitsweise bei außenliegenden Fehlern bzw. Last
b) (unten) Arbeitsweise bei innenliegenden Fehlern 

FALSCHSTROMSTABILISIERUNG

Im praktischen Anwendungsfall treten jedoch falsche Differenzströme auf – Abb. 2. Dies sind

  • der durch die Magnetisierung des Transformators auftretende Leerlaufstrom (von der Belastung unabhängig und deshalb eine Gerade),
  • Auswirkung der Stellung des Stufenschalters Stufe 1 bis 19 bzw. 27 von üblich ±16 % (abhängig vom Last- bzw. Kurzschlussstrom),
  • auftretende unterschiedliche Sättigung der ober- und unterspannungsseitigen Stromwandler (bei Überschreitung),

die sich geometrisch zu einem Falschstrom addieren.
Während der Leerlaufstrom mit etwa 0,5 % vom Transformator-Nennstrom Inom Tr gering und unabhängig von der Last ist, steigt der Falschstrom je nach Stufenstellung linear abhängig von der Last an. Besonders große Diff.-Ströme treten bei unterschiedlichen Wandlerverhalten bei außenliegenden Kurzschlüssen auf. Dies liegt vor allem daran, dass ober- und unterspannungsseitig unterschiedlicher Wandleraufbau bzw. -bebürdung vorliegt und Sättigungserscheinen auftritt. Die in Abb. 2 dargestellten Ströme addieren sich geometrisch zu einem Falschstrom.
Um ein Fehlansprechen Id zu vermeiden, muss der Ansprechwert in Abhängigkeit vom Durchgangsstrom I durch eine Falschstromstabilisierung erhöht werden. Hierzu addiert sich im Haltesystem H die Wirkung von i1 und i2 als Durchgangsstrom I und verringert die Wirkung des Auslösestromes Id. Mit der gewählten Relaiskennlinie  wird die Falschstromstabilisierung gegen Fehlauslösen erreicht, indem nur Fehlerströme oberhalb der Kennlinie zur Auslösung führen.

Abb. 2 Falschströme

Übersteigt der Diff.-Strom Id den maximal bei einem Kurzschluss auf der Unterspannungsseite des Transformators möglichen Kurzschlussstrom – Gl. 1:

so muss der Fehler innerhalb des Diff.-Schutzbereiches liegen, sodass keine Stabilisierung mehr erforderlich ist. Die eingestellte Kennlinie geht dann in eine Waagerechte über – Abb. 6.

NULLSTROMELIMINIERUNG

Ist an einem ober- oder/und unterspannungsseitigen Transformatorsternpunkt eine starre oder niederohmige Erdung vorgenommen bzw. eine Petersenspule angeschlossen, so muss an der jeweiligen Wicklung der bei einem einpoligen Fehler auftretende Nullstrom eliminiert werden, um Fehlauslösungen zu vermeiden. Damit geht allerdings die Empfindlichkeit auf 2/3 gegenüber dem mehrpoligen Fehler zurück (rote Kennlinien 1 in Abb. 3). Hinzu kommt, dass bei inneren Fehlern der auftretende Fehlerstrom zum Sternpunkt hin (f < 1) rasch abklingt und somit der Schutz unwirksamer wird. Durch Anschluss des Sternpunktstromes, gemessen über -T90, wird Kennlinie 2 oder noch besser durch Nutzung des zusätzlichen Nullstrom-Diff.-Schutzes Kennlinie 3 erreicht.

 

Abb. 3 Verringerung der Ansprechempfindlichkeit

Die Wirkungsweise des Nullstromzeitschutzes ist in Abb. 4 bei einem außen- und innenliegenden Fehler dargestellt. Weitere Informationen hierzu in [4].

Abb. 4a Nullstromdifferentialschutz – außenliegender Fehler

Abb. 4b Nullstromdifferentialschutz – innenliegender Fehler

EINSCHALTSTABILISIERUNG, EINSCHALTRUSH

Beim Einschalten eines leerlaufenden Transformators – Abb. 5 – kommt es zu Einschaltströmen (Rush-Effekt), die ein Mehrfaches des Transformator-Nennstromes ausmachen können. Diese Rushströme treten nur auf der eingeschalteten Transformatorseite und somit als Diff.-Strom auf. Zur Verhinderung einer Wiederauslösung wirkt eine Einschaltstabilisierung. Zum Unterschied gegen einen Fehler im Transformator ist der Einschaltstrom stark oberwellenbehaftet, sodass durch einen Filter ab einem bestimmten Verhältnis von 100-Hz- zum 50-Hz-Strom eine Sperrung der Auslösung vorgenommen wird.

Digitale Relais ermöglichen eine leiterübergreifende Blockierung. Diese sogenannte Cross-Blocking-Funktion wird jedoch von einigen Netzbetreibern nicht genutzt, um eine denkbare ungewollte Blockierung bei einem Transformatorfehler zu vermeiden.

Abb. 5 Einschaltströme

Abb. 6 Auslösekennlinie

EINSTELLEMPFEHLUNG

Abb. 6 zeigt eine Einstellempfehlung mit nachstehenden Werten [2]:

Ansprechwert bei Haltestrom IS = 0 – Gl. 2:

Als arithmetischer Mittelwert gilt – Gl. 3:

Anstieg für die Falschstromstabilisierung

Hochstromstufe bei stromstarken Fehlern

Einschaltstabilisierung – Gl. 4:

„cross-blocking“ (Oberwellensperre leiterübergreifend) nicht aktiviert

NULLSTROMELIMINIERUNG

bei starrer oder niederohmiger Transformator-Sternpunkterdung oder angeschlossener Petersenspule Nullstromfilter in dieser Wicklung aktivieren.

NULLSTROM-DIFFERENTIALSCHUTZ

GL. 5:

bezogen auf die zugehörige Leistungswicklung

SYMPATHISIERENDER EINSCHALTRUSH (SYMPATHETIC INRUSH)

Beim Einschalten eines leerlaufenden Transformators T1 – Abb. 7 – in einem Umspannwerk kann es passieren, dass der in Betrieb befindliche Transformator T2 auslöst. Der Grund ist ein „sympathisierender Rushstrom“, der durch den ursprünglichen Rushstrom des zugeschalteten Transformators verursacht wird. Der

Spannungsabfall am vorgeschalteten Netzwiderstand wirkt parallel auf den Transformator und treibt den sympatisierenden Rushstrom I2 – siehe dazu „Blockierfunktionen”. [1]

Abb. 7 Sympathisierender Einschaltrush

NULLSTROMELIMINIERUNG
Wenn im Relaishandbuch vorgegeben ist, dass bei einem am Transformatorsternpunkt angeschlossenen Überspannungsableiter der Nullstromfilter zu aktivieren ist, wollte man ein Auslösen des Diff.-Schutzes beim Ansprechen des Überspannungsableiters vermeiden. Untersuchungen der TU Ilmenau haben ergeben, dass bei Metall-Oxid-Ableitern bedingt durch die kurze Einwirkzeit und geringen Netzfolgeströme eine Diff.-Auslösung nicht zu erwarten ist. [5]

HINWEISE FÜR DEN EINBAU UND BETRIEB

Die Diff.-Schutz ist dreiphasig auszuführen, da sonst im starr oder niederohmig geerdeten Netz bzw. im kompensierten oder isolierten Netz beim Doppelerdschluss der einpolige Fehler im Schutzbereich nicht erfasst wird. Die Stromwandler müssen den maximalen durchfließenden Kurzschlussstrom so lange sättigungsfrei übertragen, bis das Schutzgerät auf einen außenliegenden Fehler erkannt hat – Abb. 8. Bei innenliegenden Fehlern dürfen die Wandler sättigen.

Abb. 8 Begrenzung des Kurzschlussstromes durch die Kurzschlussspannung des Transformators

Werden ober- oder unterspannungsseitig Spannungswandler eingesetzt, so ist darauf zu achten, dass diese innerhalb des Diff.-Schutz-Bereiches eingebaut werden.

Da der Schutzbereich durch die Einbauorte der  Stromwandlersätze begrenzt ist, muss als Hauptschutz für die Mittelspannungs-Sammelschiene sowie als Reserveschutz für die Leitungsabgänge ein weiterer Schutz (Überstromzeit- oder Distanzschutz) zur Anwendung kommen. Bei Dreiwicklern mit unterschiedlichen Bemessungsleistungen (z. B. 110/20/10 kV, 40/20/20 MVA) gilt als Bezugsgröße für den Diff.-Schutz die größte Bemessungsleistung.

Liegt z. B. bei einer US-Leistungsabführung eine Spreize vor, so können die Sekundärströme bei gleichem Übersetzungsverhältnis parallelgeschaltet werden – Abb. 9.

Abb. 9 Dreiwicklerschutz mit Spreize

Der Schutzbereich – Abb. 10 – umfasst Fehler an den zwischen den Stromwandlersätzen eingebauten Betriebsmitteln (Überspannungsableiter -F1, Durchführungen und Transformatorisolation -T101, Leistungsabführungskabel unterspannungsseitig und Spannungswandler -T5) sowie Fehler der Stromwandler -T1 selbst oder in deren Sekundärverdrahtung.

Abb. 10 Schutzbereich des Diff .-Schutzes

Schaltzeichen und ANSI-Nummern sowie die Definition für den Differentialschutz sind in Abb. 11 und Tab. 1 dargestellt.

Abb. 11 Schaltzeichen und ANSI-Nr.

Tab. 1 Begriff e IEV Wörterbuch

Quellen

1 G. Ziegler, Digitaler Differentialschutz. Grundlagen und Anwendung, Siemens, Erlangen 2013
2 P. Hühnlein; H. Hupfauer; P. Kronschnabl; W. Schossig, Richtlinie für die Einstellung von Selektivschutzeinrichtungen, BAG-Konzern AK Schutzeinrichtungen, September 1996
3 W. Schossig, Einsatz der Hochstromstufe. In: Netzschutz-Magazin 2/2018, S. 18–22
4
W. Schossig; P. Meinhardt, Der Nullstromdifferenzialschutz als Erweiterung des Transformatorenschutzes, OMICRON Anwendertagung 2007, www.omicronenergy.com
5 M. Rock, Ansprechen von Überspannungsableitern und Anregung des Transformator-Differentialschutzes bei  Blitzeinwirkung. Bericht-Nr.: VDE BV. Thüringen – TU Ilmenau / FG BUE-01/12

Die 4. Ausgabe 2018 - Transformator­differential­schutz ist da!

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