Mit Hochspannung sicher durch den Berg
Die Vorarlberger Energienetze GmbH konnte für die Herstellung einer 110-kV-Leitungsverbindung zwischen Dornbirn/Ö und Lindau/D im Zuge des Vollausbaus des Pfänder-Autobahntunnels die zweite Tunnelröhre für eine 110-kV-Kabelteilstrecke nutzen. Um bei Erdschlüssen, bei denen Rauch mit fatalen Folgen entstehen könnte, die sichere Abschaltung zu gewährleisten, setzt sie auf Nullstrom-Differentialschutz.
PROJEKT UND BEDEUTUNG
Der Pfändertunnel ist die Umfahrung für den Siedlungsraum der Vorarlberger Landeshauptstadt Bregenz. Als nördlichster Abschnitt der österreichischen Rheintal/Walgau-Autobahn A14 ist dieser Tunnel Bestandteil der wichtigsten Nord-Süd-Verbindung im Vorarlberger Rheintal und mit seiner Anbindung bei Lindau an die A 96 in Deutschland Teil des transeuropäischen Straßennetzes TERN.
LEITUNGSFÜHRUNG
Die hier beschriebene Leitung verbindet das Umspannwerk, kurz UW, Werben in Dornbirn mit dem UW Lindau. Abb.1
Abb. 1 Übersicht der Leitungsstrecke = Übersicht-1
Der 1. Streckenabschnitt verläuft als 110-kV-Kabel vom UW Lindau über 1,7 Kilometer entlang der Autobahn und am Nordportal des Tunnels in einen Betonkollektor unter der Tunnelfahrbahn. Vom Südportal der zweiten Tunnelröhre verläuft das Kabel bis zum UW Rieden auf das Werksgelände der Vorarlberger Energienetze GmbH in Bregenz. Hier erfolgt der Übergang auf den 2. Streckenabschnitt als 6,7 Kilometer lange 110-kV-Freileitung, die den Energietransport bis zum UW Werben bei Dornbirn übernimmt.
Details der Kabelverlegung in der zweiten Röhre: Im Zuge des Ausbaues der zweiten Röhre, der Oströhre mit einer Länge von 6.718 Metern, wurde in der Fahrbahn ein Betonkollektor verlegt, in dem die 110-kV-Einleiterkabel geführt werden. Die Längen der 110-kV-Kabelabschnitte waren produktions- und transportbedingt auf ca. 800 Meter beschränkt. Die zur Verbindung der Kabelabschnitte benötigten Muffen sind jeweils in den Ausweichnischen des Tunnels untergebracht. Die Muffenschächte wurden zum Schluss mit Sand befüllt und mit einem Betondeckel verschlossen.
RISIKOFAKTOR RAUCHENTWICKLUNG BEI ERDSCHLÜSSEN
Das 110-kV-Netz des Stromnetzbetreibers Vorarlberger Energienetze GmbH wird gelöscht betrieben. Bei den eingesetzten Einleiterkabeln sind 1-polige Fehler und damit Erdschlüsse wahrscheinlicher. Da es bei Erdschlüssen zu Rauchentwicklung kommt, die im Tunnelbereich zu gefährlichen Beeinträchtigungen führt, war und ist die sichere Abschaltung bei Erdschluss erforderlich. Aus diesem Grund muss in diesem gelöscht betriebenen Netzteil auch bei Erdschluss der betroffene Bereich abgeschaltet werden.
PRÄZISION UND VERSORGUNGSZUVERLÄSSIGKEIT
Nach unseren Erfahrungen gewährleisten die üblicherweise eingesetzten Erdschlussortungsverfahren (Wischer- und Oberwellenmessung) keine sichere Abschaltung. Doch wir wollten keine Verschlechterung der Versorgungszuverlässigkeit zulassen. Um diesem Anspruch gerecht zu werden, gingen unsere Überlegungen in Richtung Nullstrom-Differentialschutz. Nach intensiver Rücksprache und Beratung mit Schneider Electric Austria GmbH in Wien, die wir aufgrund ihrer internationalen Erfahrung und dem innovativen Potential als unseren Lieferanten ausgesucht hatten, wurde folgendes Konzept ausgearbeitet:
Das Leitungssystem ist mit einem Haupt- und Zweitschutz mit jeweils getrennter Gleichstromversorgung ausgeführt. Als Hauptschutz dient der Distanzschutz P433 von Schneider Electric mit Signalvergleich. Der Zweitschutz ist der Leitungsdifferentialschutz P541 von Schneider Electric. Somit werden 2- und 3-polige Kurzschlüsse eindeutig erfasst und selektiv abgeschaltet. Abb. 2
Abb. 2 Schutzeinrichtungen im UW Lindau und UW Werben
PRÄZISE MESSUNG DER NULLSTRÖME
Um die relativ kleinen Nullströme erfassen zu können, wollten wir aus Genauigkeitsgründen nicht auf die Holmgreenschaltung zurückgreifen, sondern realisierten die Messung mittels Umbauwandlern. Im UW Lindau wurde neben den Kabelendverschlüssen ein Betonschacht gebaut, in dem der Umbauwandler montiert wurde.
Da im UW Werben der 110-kV-Stromkreis als Freileitung ausgeführt ist, konnte an dieser Stelle kein Umbauwandler eingebaut werden. Beim UW Rieden ist der Übergang der Freileitung auf das Kabel. An dieser Stelle wurde ebenfalls ein Betonschacht mit Kabelumbauwandlern eingebaut. Allerdings ist für diese Leitung kein Schaltfeld im UW Rieden vorhanden. Abb. 3
Abb.3 Übersicht aller Leitungsdifferentialschutzkomponenten
FÜHRUNG DER NULLSTRÖME UND DIFFERENTIALSCHUTZ-AUSLÖSUNG
Der Nullstrom dieses Kabelumbauwandlers wurde in den Schutzraum des UW Rieden geführt und in einem Schutzschrank auf ein Differentialschutzrelais P541 von Schneider Electric verdrahtet.
Beim UW Lindau wurde ebenfalls der Nullstrom auf ein Differentialschutzrelais P541 verdrahtet. Die beiden Nullstrom-Differentialschutzeinrichtungen sind über einen im Kabelkollektor mitgeführten LWL gekoppelt. Aus Sicherheitsgründen wird im UW Lindau zur Freigabe der Nullstromdifferentialschutz-Auslösung auch die vom Distanzschutz gemessene Verlagerungsspannung (N-E Spg. > 30 V) abgefragt und logisch verknüpft. In Lindau erfolgt die Abschaltung des Leistungsschalters direkt durch das Nullstromdifferentialschutzrelais. Die Abschaltung des Leistungsschalters an der Gegenstelle wird hingegen mittels Binärsignal dem Leitungsdifferentialschutz im UW Lindau zugeführt, über eine Mitnahme an den Leitungsschutz im UW Werben übertragen und dort die Auslösespule des Leistungsschalters betätigt.
ABSCHALTKRITERIEN UND FREIGABE
Das 110-kV-Netz in diesem Bereich wird mit 30 A unterkompensiert betrieben. Mit dem Wattreststrom, dem kapazitiven Restanteil der Unterkompensierung und den Oberwellenanteilen fließen ca. 50 A Reststrom an der Fehlerstelle. Die Nullstromansprechschwelle ist auf 20 A eingestellt. Damit Einschwingvorgänge ausgeschlossen sind, wird die Auslösung mit einer Kommandozeit von 1,0 Sekunden verzögert. Um die Abschaltung freizugeben, wird die vom Distanzschutz ausgewertete Verlagerungsspannung (n-e Spg. > 30 V) auf einem digitalen Eingang des Nullstrom-Differentialschutzrelais eingelesen und im Gerät mit der Differentialschutzstufe verknüpft. Abb. 4
Abb. 4 Übersicht der Verbindungen und Verknüpfungen zwischen den Schutzgeräten
ZUSÄTZLICHE ÜBERWACHUNGSEINRICHTUNGEN
In einem Reserverohr des Betonkollektors wurde ein Lichtwellenleiter-Kabel mitverlegt, das mit einem speziellen Lasersystem zur Temperaturmessung ausgestattet ist. Damit kann auf einen Meter genau die Temperatur des Kollektors gemessen werden. Käme es im Tunnel zu einem Fahrzeugbrand, kann die Temperatur ermittelt und damit die Auswirkungen auf das Kabel festgestellt werden.