REALE MESSGRÖSSEN­GEWINNUNG DURCH Netzsimulation

Bei der klassischen Prüfung von Erdschlussrelais kann lediglich die korrekte Verdrahtung und Funktion sichergestellt werden. Mit einer systembasierten Prüfung lassen sich darüber hinaus realistische Prüfsignale generieren, die die korrekte Erdschlussortung am Einbauort sicherstellen.

von Christopher Pritchard Datum 13.12.2017

Erdschlussschutz

Wenn man über die Prüfung von Erdschlussortungsverfahren spricht, dann muss zunächst einmal geklärt werden, was das Ziel der Prüfung sein soll. Bei einer Inbetriebnahme oder der Routineprüfung einzelner Ortungsrelais wird häufig nur die Funktion des Relais selbst verifiziert und kontrolliert, ob die Einstellwerte den Vorgaben entsprechen. Hierbei kommen standardmäßig stationäre Prüfmethoden zum Einsatz. Besonders anspruchsvoll ist dabei die Herleitung der abstrakten Prüfgrößen, die teils nur wenig mit einem realen Erdschluss gemein haben. Die sichere Ortung eines Erdschlusses ist darüber hinaus nicht ausschließlich von der Funktion des Relais abhängig. Die Herausforderung liegt darin, das Verfahren den Ansprüchen entsprechend auszuwählen und die Parametrierung auf das eigene Netz anzupassen. Möchte man anschließend sicherstellen, dass die Ortung am Einbauort fehlerfrei  funktioniert, empfiehlt sich eine systembasierte Prüfung.

ERSTELLUNG EINER SYSTEMBASIERTEN PRÜFUNG

Bei einer klassischen Prüfung werden die Ausgabesignale direkt berechnet und basieren häufig auf den Einstellwerten. Dagegen werden bei einer systembasierten Prüfung die Signale realitätsnah durch eine Netzwerksimulation berechnet. Somit hängt dieses Prüfverfahren allein vom Primärsystem ab. Der Schutz bzw. die Erdschlussortung werden als Blackbox geprüft. Zu Beginn steht die Entscheidung, wie groß der Ausschnitt des Netzes sein muss, um eine ausreichend hohe Prüfqualität zu gewährleisten. Das Minimalnetz zur Prüfung eines Erdschlussortungsrelais in einem Abgang eines ompensierten Netzes zeigt Abb. 1. Nur bei komplexen Anwendungen müssen größere Abschnitte ausgewählt werden (siehe folgende Abschnitte). Die wesentlichen Daten, welche darüber hinaus gebraucht werden, bleiben überschaubar:

  • Leitungs- oder Kabeldaten, welche z. B. vom Kabeltyp und der Länge abgeleitet werden
  • Restnetzkapazität, welche sich aus dem Netznullstrom ICE ableitet
  • Induktivität der Petersen-Spule, welche sich aus der Verstimmung und dem ICE ableitet
  • Übersetzung und Polarität der Wandler

Sobald diese Informationen bereitstehen, ist die Prüffallerstellung deutlich einfacher als in anderen Prüfverfahren. Zur Prüfung der Erdschlussortung muss dann nur noch ein Erdschluss z. B. auf einem Kabel positioniert werden. Die transiente Simulation berechnet die Ausgabesignale automatisch.

 

Abb. 1 Minimal-Netzwerk zur Prüfung eines Erdschlussortungsrelais

VERSCHIEDENE ORTUNGSVERFAHREN IN DER SYSTEMBASIERTEN PRÜFUNG

Wir beschränken uns in diesem Artikel auf die wichtigsten Verfahren. Wie die folgenden Beispiele zeigen, basiert die systembasierte Prüfung ausschließlich auf der Modellierung des Netzes und ist somit komplett unabhängig von dem zu prüfenden Verfahren. Ergo kann die systembasierte Prüfung auch auf hier nicht beschriebene Verfahren übertragen werden

Wattmetrisches Verfahren
Beim wattmetrischen Reststromverfahren handelt es sich um ein stationäres Verfahren, welches in kompensierten Netzen zum Einsatz kommt. Der messbare Wirkstrom liegt im Bereich von 1–3 % des kapazitiven Nullstroms des Netzes (ICE). Um den Wirkstrom zu messen, wird der Nullstrom mittels cos (φ)-Funktion auf die Nullspannung projiziert. Da die Magnitude des Wirkstroms nur bei ca. 3 % des kapazitiven Nullstroms des Netzes (ICE) liegt, haben Winkelfehler Auswirkungen auf die Richtungsanzeige. Der absolute Fehler kann mit steigendem Blindstrom bis zur Richtungsumkehr führen. Dies bedeutet, dass bei der Auslegung nicht nur die Blindströme bei Standardnetztopologie, sondern auch nach Schalthandlungen berücksichtigt werden müssen. Wird im Rahmen einer Suchschaltung in einem  berkompensierten Netz ein stark kapazitiver Abgang (z. B. ein langes Kabel) abgeschaltet, steigt der induktive Blindstrom und erhöht die Wahrscheinlichkeit einer falschen Richtungsanzeige. Diese Phänomene lassen sich hervorragend in einer systembasierten Prüfung nachstellen, bei der in diesem Fall ein größerer Ausschnitt der realen Netztopologie nachgebildet wird (Abb. 2).  

Abb. 2 Abschaltung einer langen Leitung

Es ist hierbei wichtig zu bedenken, dass Winkelfehler, welche im Betrieb vorkommen, sich von einer idealisierten Testumgebung unterscheiden. Ein hochpräzises Prüfgerät erzeugt im Maximalfall einen Winkelfehler von 0,02° und kann hierbei vernachlässigt werden. Bei der Sekundäreinspeisung der Nullspannung ist jedoch der Winkelfehler des realen Spannungswandlers außen vor. Was in der Prüfung grade noch so funktioniert, kann in der Realität bereits zur falschen Anzeige führen. Daher sollte man den durch die Simulation bereits berechneten Winkel auch zusätzlich dahingehend bewerten, ob dieser auch bei maximalem Winkelfehler noch zur sicheren Richtungserkennung führt.

Pulsortung
Bei der Pulsortung wird z. B. durch Zuschaltung eines parallel zur Petersen-Spule geschalteten Kondensators eine Blindstromänderung herbeigeführt. Durch ein zyklisches Zu- und Abschalten dieses Kondensators wird ein Pulsmuster auf den Nullstrom moduliert, welches nur am fehlerbehafteten Abgang gemessen werden kann. Auch hier ist die Testdefinition mit klassischen Prüfmethoden sehr abstrakt. Bei der systembasierten Prüfung hingegen ist die Testdefinition nur eine Nachbildung des Netzes, es wird also entsprechend der Realität ein Kondensator parallel zur Petersen-Spule geschaltet (Abb. 3). 

Abb. 3 Pulsortung

Zwecks Pulsmodulation wird einfach der Leistungsschalter am Kondensator aus- und eingeschaltet. Leider hat auch die Pulsortung ihre Tücken: Wird das Netz nicht ausreichend überkompensiert, kann der Puls deutlich kleiner werden, bis hin zur Auslöschung am Resonanzpunkt (Abb. 4 und 5).

Abb. 4 Pulsmodulation bei Überkompensation

Abb. 5 Pulsmodulation bei Kompensation am Resonanzpunkt

Transiente Erdschlusswischerverfahren
Auch bei Wischerverfahren gibt es eine Vielzahl an verschiedenen Algorithmen, welche spezifische Vorteile, wie z. B. Kreisströme, bieten. Prinzipiell lässt sich sagen, dass diese Verfahren den transienten Entladevorgang bei Erdschlusseintritt auswerten. Trotz des irreführenden Adjektivs „transient“ können die meisten Wischerverfahren mit stationären Signalen geprüft werden. Auch hier stellt sich wieder die Herausforderung an den Prüfer, die abstrakten Prüfgrößen richtig zu definieren. Zudem ist die Prüfabdeckung eher zweifelhaft. Wird jedoch bei der systembasierten Prüfung eine transiente Simulation im Zeitbereich durchgeführt, ergibt sich ein realistischer Entlade- und Auflade-Vorgang von selbst (Abb. 6).

Klassische Wischerverfahren beinhalten potenzielle Fehlerquellen wie z. B. die Anregeschwelle. Wird das Beobachtungsfenster für den Strom zu früh geöffnet, kann es zur falschen Richtungsanzeige führen. Bei einer klassischen Prüfung wird immer knapp über bzw. unter der Anregeschwelle geprüft. Die Validierung des Schwellwertes selbst kann jedoch nur durch eine systembasierte Prüfung stattfinden.

Abb. 6 Transienter Erdschluss

TYPISCHE FEHLERQUELLEN BEI DER ERDSCHLUSSORTUNG

Im Folgenden sollen noch weitere wichtige Phänomene gezeigt werden, die bei einer systembasierten Prüfung berücksichtigt werden können.

Nullsystemströme im Vorfehler
Nullsystemströme können bereits bei gesunden Netzen auftreten, verursacht durch mutuelle Kopplungen von parallel laufenden Systemen oder unsymmetrische Leiterwiderstände in geschlossenen Ringen, auch Kreisströme genannt. Diese Nullsystemströme addieren sich im Fehlerfall zu den Erdschlussströmen hinzu und können je nach Phasenlage zur falschen Richtungsanzeige führen. Einige Verfahren sind in der Lage, diese Nullsystemströme zu kompensieren.

Wiederzündende Fehler
Bei nahezu ideal kompensierten Netzen verlöschen Erdschlüsse meist selbstständig. Während sich im Leiter die Spannung langsam wieder aufbaut, kommt es zur Wiederzündung des Fehlers. Dieser Vorgang kann sich mehrmals wiederholen, man spricht auch von intermittierenden Erdfehlern. Da der Spannungshub in der Nullspannung nur gering ausfällt, kann die Anregung bestimmter Verfahren ausbleiben. Spezielle Algorithmen können solche intermittierende Erdfehler sicher erkennen.

Übergangswiderstände
Besonders in Freileitungsnetzen und unter speziellen klimatischen Bedingungen können Fehler mit mehreren 100 oder sogar 1000 Ohm auftreten. Nicht jedes Verfahren ist gleich gut dafür geeignet, solche Erdfehler richtig zu erkennen. Abb. 7 zeigt, dass der Aufladevorgang nur sehr schwach ist. 

Abb. 7 Aufladevorgangbei 2000 Ohm

ZUSAMMENFASSUNG

Bei der Sicherstellung einer korrekten Erdschlussortung liegt, wie die Beispiele zeigen, die Tücke im Detail. Die vorgestellte systembasierte Prüfung kann hierbei einen wichtigen Beitrag leisten, indem sie nicht nur das Relais, sondern auch dessen richtige Anwendung validieren kann. Anstatt herauszufinden, wie man am einfachsten den Relaisalgorithmus austrickst, fokussiert die systembasierte Prüfung auf die Systemanforderungen, wodurch die Durchführung einer Prüfung in vielen Fällen vereinfacht wird. Darüber hinaus kann die Prüfung leicht zur Prüfung des Schutzsystems weiterentwickelt werden, indem z. B. Doppelerdschlüsse simuliert werden.

 

 

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