NEUE HERAUS­FORDERUNGEN, NEUE LÖSUNGEN
Durch die Energiewende sind neue Anforderungen an die Regelung von Petersen-Spulen, die Erdschlusserfassung und die Erdschlusseingrenzung entstanden. Durch die rasanten Entwicklungen in der Mikroprozessortechnik und der Messtechnik sind nun neue Algorithmen zur Lösung dieser Herausforderungen umsetzbar.
Erdschlusserfassung und -ortung gehören mit zu den schwierigsten Aufgaben in der Schutztechnik. Bei einem Kurzschluss fließen kA über die Fehlerstelle, die relativ leicht zu bewerten sind. Bei einem Erdschluss fließen hingegen in einem gelöschten Netz nur wenige Ampere über die Fehlerstelle, die teilweise um den Faktor 100 kleiner sind als der Laststrom. Beispiele für die neuen Herausforderungen an die Erdschlussortung, die sich teilweise durch die Energiewende ergeben, sind:
- Durch die Dezentralen Energieerzeugungs-Anlagen (DEA) ergeben sich andere Energieflüsse, wodurch gerichtete Erdschluss- und Kurzschlussanzeiger erforderlich werden.
- Inselnetze: Durch ungewollte Inselbildungen ergeben sich in der Insel andere Rahmenbedingungen für die Erdschlussortung.
- duale Netzplanung mit n-1 Sicherheit für die bestehenden hochverfügbaren Netze und n-0 Netze für DEAs
- neue Ansätze für eine automatische Verschiebung der Trennstelle in Netzen, die als offene Ringe betrieben werden, um eine schnellere Fehlereingrenzung durchzuführen
- Erdschluss-Distanz-Abschätzung. Bisher konnte man nur den erdschlussbehafteten Abgang identifizieren.
- Verwendung von vorhandenen kapazitiven Sensoren in den Ortsnetzstationen
- Im Freileitungsbereich wird die Erkennung von Erdschlüssen mit einer Übergangsimpedanz bis in den Bereich von 20 kΩ gefordert.
- Für wiederzündende Fehler in Kabelabschnitten bzw. für Fehler mit nichtlinearer Fehlerimpedanz wird eine eindeutige Richtungsanzeige gefordert, die mit den bisherigen cos(φ)-Relais nicht möglich ist.
Die oben angeführten Herausforderungen erfordern neue Algorithmen zur raschen Fehlereingrenzung und möglichst ohne Versorgungsunterbrechung für die Kunden. Im Folgenden werden einige neue Verfahren kurz beschrieben, die im EDIR-Funktionsmodul von Sprecher Automation eingebaut sind. Diese neue EDIR-Funktionalität ist sowohl in den Kombigeräten der SPRECON-P-Serie als auch im Einzelgerät SPRECON-EDIR verfügbar.
TRANSIENTE ERDSCHLUSSORTUNG
Die Einschränkungen der analogen Wischerrelais bestehen darin, dass der Übergangswiderstand der Fehlerstelle 50 Ω nicht überschreitet und der Ausgleichsvorgang innerhalb der ersten Periode abgeschlossen ist. Die direkte Digitalisierung würde eine Abtastrate von ca. 20 kHz benötigen. Erst durch die Einführung neuer Algorithmen (qu und qu2), die mit einer Abtastrate von 2 bis 4 kHz auskommen, wurden die transienten Verfahren wieder interessant. Durch die neue Prozessortechnologie kann man nun auch historische Informationen verarbeiten und dadurch wesentlich höherohmige Fehler erkennen. Die einzige Randbedingung ist, dass der Zündzeitpunkt des Erdschlusses im Aufzeichnungsbereich des Relais liegt. Der neueste Algorithmus qu4 verwendet eine Vorgeschichte von 20 Perioden und ermöglicht eine transiente Auswertung bis in den Bereich von 25 kΩ in einem 100-A-Netz. Alle qu-Verfahren sind in der EDIR-Funktion von Sprecher Automation inkludiert.
Ein weiterer Vorteil dieser neuen Algorithmen ist, dass der Einfluss von 50-Hz-Kreisströmen, Oberschwingungsströmen und natürlichen Unsymmetrien kompensiert wird.
Beim Erdschlusseintritt können zwei Vorgänge unterschieden werden [2][3]:
- Entladung des erdschlussbehafteten Leiters
- Aufladung der beiden gesunden Leiter
Beim Entladen des erdschlussbehafteten Leiters bilden sich Wanderwellen aus. Es gibt bei Sprecher Automation neue Ansätze, die Laufzeit dieser Wanderwellen auszuwerten und die Distanz bis zum Fehler zu schätzen. [1][5] Zugleich mit der Entladung des fehlerhaften Leiters beginnt die Aufladung der beiden gesunden Leiter auf die verkettete Spannung. Bei Standard-Wischerrelais, die bei Überschreitung eines Schwellwertes ein Stromfenster für ca. 100 μs öffnen und die Polarität des Stromes bewerten, kann es durch die überlagerten Entlade- und Aufladeschwingungen zu Fehlanzeigen kommen. Detail sind zu finden in [2].
Transienter Vorgang
Satter Erdschluss (Erdkurzschluss)
Beim qu-Verfahren wird der Strom als integraler Wert mindestens bis zum Spannungsmaximum der Nullspannung verwendet. Der Zusammenhang zwischen u0 und i0 ist in der folgenden Gleichung für den gesunden Abgang dargestellt.
Wird die Verlagerungsspannung auf der x-Achse aufgetragen und der auf integrierte Strom (Ladung q) der drei Abgänge auf der y-Achse, so erhält man das qu-Diagramm für die drei Abgänge, siehe Abb. 1.
Abb. 1 qu-Auswertung des niederohmigen Erdschlusses
Aus Abb. 1 ist erkennbar, dass die gesunden Abgänge Geraden darstellen und der erdschlussbehaftete Abgang nur am Beginn eine Gerade ist und die Kurve mit einer negativen Steigung beginnt.
Abb. 2 Hochohmiger Erdschluss
Lineare hochohmige Fehlerimpedanz bis in den Bereich von 25 kΩ
Liegt ein sehr hochohmiger Fehler vor, so können die beiden gesunden Leiter nur langsam aufgeladen werden, wie aus Abb. 2 erkennbar ist. Als vereinfachte Annahmen können Fehler, wie z. B. ein Leiterseil auf einer Wiese oder auf einem Baum,
Abb. 3 qu-Diagramm des hochohmigen Erdschlusses
Wiederzündender Fehler durch eine nichtlineare Fehlerimpedanz
Erfolgt in einem Kabel ein Überschlag, so entstehen wiederzündende Fehler, Details siehe [1][2]. Dieser wiederzündende Vorgang wiederholt sich bis zur Abschaltung des fehlerhaften Segmentes.
Das zugehörige qu-Diagramm ist in Abb. 4 dargestellt.
Abb. 4 qu-Diagramm des wiederzündenden Fehlers
Fehlerklassifizierung mit den qu-Algorithmen
Mit den qu-Verfahren der EDIR-Funktion ist eine Fehlerklassifizierung möglich. Der wiederzündende Fehler, Abb. 4, kann nur im Kabel, in Kabelendverschlüssen oder Muffen auftreten. Die Suche in gemischten Netzen kann daher bei diesem Fehlerbild auf Kabelabschnitte eingeschränkt werden. Die Praxis hat gezeigt, dass die erreichbare Wahrscheinlichkeit der korrekten gerichteten Fehlererkennung bei Fehlern im Kabelsegment über 99,5 % und bei Fehlern im Freileitungssegment im Bereich von 95 % liegt. Im Freileitungsbereich stellt sich die Frage, welche Fehler keine Wischer sind, denn diese können durch transiente Verfahren nicht erkannt werden.
STATIONÄRE VERFAHREN
Viele Erdschlussversuche haben gezeigt, dass die stationären 50-Hz-Methoden in der Praxis eigentlich keine sichere gerichtete Erdschluss-Anzeige liefern. Für die Oberschwingungen wird aus dem gelöschten Netz ein isoliertes Netz, und das sin (φ)-Verfahren für die jeweilige Oberschwingung liefert sehr gute Ergebnisse. Am günstigsten sind Verfahren, die Frequenzen verwenden, die im natürlichen Drehstrom-System nicht vorhanden sind. Aus diesem Grunde sind bei SPRECON-EDIR die Oberschwingungs-Frequenzen frei wählbar.
QUASISTATIONÄRE ERDSCHLUSSORTUNG
Durch Variation der Petersen-Spule, z. B. durch zyklisches Zuschalten eines parallel geschalteten Kondensators, wird der Blindstrom über die Fehlerstelle verändert. Aus Abb. 5 ist erkennbar, dass diese Änderung nur vom Taktgenerator bis zur Fehlerstelle messbar ist.
Das übliche Pulsortungsverfahren arbeitet nur bis zu einer Fehlerimpedanz von ca. 200 Ω und einer Verlagerungsspannung über 80 %. Durch eine komplexe Auswertung des Nullstromes durch die EDIR-Funktion ergeben sich die folgenden Vorteile:D
- Durch die komplexe Auswertung funktioniert die Pulsortung bis in den Bereich von 5 kΩ.
- Die bisher erforderliche Betriebsart des Netzes mit Überkompensation ist nicht mehr notwendig. Dies ist ein großer Vorteil bei der heutigen stark zunehmenden Verkabelung. Mit den neuen Relais wird sogar die Betriebsart mit Unterkompensation ohne Umschaltung eines Parametersatzes möglich.
- Da es ein quasistationäres Verfahren ist, kann die Ortung des hochohmigen Fehlers jederzeit wiederholt werden.
- In Ringen und vermaschten Netzen erhält man mit dem neuen Algorithmus eine gerichtete Information zur Fehlerstelle.
Abb. 5 Prinzip der Pulsortung
PRIORISIERUNG DER METHODEN
SPRECON-EDIR kann bis zu 15 Erdschlussortungs-Methoden gleichzeitig ausführen. Durch eine Priorisierung der Methoden kann die Signalisierung bei Bedarf auf zwei Meldungen reduziert werden.
ERDSCHLUSS-DISTANZ-ORTUNG
In Bezug auf Erdschluss-Distanz-Abschätzungen in gelöschten Netzen sind die ersten positiven Ergebnisse verfügbar. Sobald auch aus den Ortsnetzstationen Abschätzungen über die Erdschluss-Fehlerentfernung zur Verfügung gestellt werden, ergeben sich völlig neue Konzepte zur Fehlereingrenzung.
ZUSAMMENFASSUNG
Dieser Bericht zeigt, dass bereits heute viele der Herausforderungen, die durch die Energiewende gestellt werden, lösbar sind, wie z. B.:
- gerichtete Erkennung von Erdschlüssen mit Fehlerimpedanzen bis in den Bereich von 25 kΩ (qu2, qu4)
- gerichtete Erkennung von wiederzündenden Fehlern in Kabelsegmenten, Muffen und Kabelendverschlüssen (qui2)
- Klassifizierung der Fehlerart in gemischten Netzen: Fehler im Kabelabschnitt bzw. im Freileitungsabschnitt. Durch diese Zusatzinformation kann die Fehlereingrenzung wesentlich beschleunigt werden.
- neue Pulsortungsalgorithmen, die bis in den Bereich von einigen kΩ funktionieren, jederzeit wiederholbar sind und keine Überkompensation erfordern
- Die neue Pulsortung kann in Zukunft eine wesentliche Komponente bei der automatischen Fehlereingrenzung von hochohmigen Erdschlüssen werden.
- Durch die hochohmige Anbindung an die kapazitiven Sensoren in den Ortsnetzstationen sind nun gerichtete Erdschluss- und Kurzschlussanzeiger auch in den Ortsnetzstationen einfach realisierbar.
Mit der SPRECON-E-Serie und dem SPRECON-EDIR Gerät bietet Sprecher Automation die beschriebenen Algorithmen und Verfahren zur Lösung der oben beschriebenen Aufgaben an.
Quellen
1 G. Druml; U. Schmidt;P. Schegner, Effects of the non-linear Arc of a 20-kV-net single-line cable fault on the Earth-Fault-Detection and -Control, PAC World, Ljubljana 2016
2 G. Druml, Innovative Methoden zur Erdschlussortung und Petersen-Spulen-Regelung, Dissertation, Technische Universität Graz, 2013
3 H. Melzer. et al., Die aktuelle Situation der Sternpunktbehandlung in Netzen bis 110 kV (D-A-CH), ETG-Fachbericht 132, VDE Verlag GmbH, Berlin, Offenbach 2012
4 Ch. Tengg; K. Schoaß; R. Schmaranz, M. Marketz; G. Druml; Neue Erdschluss-Ortungsverfahren im Praxistest, Beitrag zur ETG Fachtagung STE 2011 in Erfurt, ETG-Fachbericht 129, VDE-Verlag GmbH, Berlin, Offenbach 2011