FAHRGAST­SICHERHEIT MIT HILFE DER KNOSPE
Das 20-kV-Netz der Wiener U-Bahn ist in den letzten Jahrzehnten massiv gewachsen. Die Erkennung und rasche Abschaltung von Erdschlüssen ist aufgrund der massiven Rauchentwicklung im Tunnelbereich bei Kabelbränden eines der wichtigsten Kriterien für eine sichere Beförderung von 1,2 Millionen Fahrgästen pro Tag.
Die U-Bahn Wien ist neben der S-Bahn, der Straßenbahn, dem Autobusnetz sowie der Badner Bahn Bestandteil des öffentlichen Personennahverkehrs der österreichischen Bundeshauptstadt Wien und hat 2015 rund 440 Millionen Passagiere im Jahr befördert. Das Wiener U-Bahn-Netz besteht zurzeit aus fünf U-Bahn-Linien (U1–U4 und U6), ist 78,5 Kilometer lang und verfügt je nach Zählweise über 93 bzw. 104 Stationen. Es gibt neun Umsteigestationen zwischen zwei sowie eine zwischen drei Linien. Die fünf Linien verkehren alle auf ihrer eigenen Strecke (Abb. 1).
Die Firma ELIN ist jahrzehntelang für die Planung, Errichtung sowie Inbetriebnahme des 20-kV-Netzes der Wiener U-Bahn zuständig. In den letzten Jahren wurden von der Firma ELIN
- 500 Stk. gas isolierte Mittelspannungsschaltanlagen bzw. Schaltfelder
- 1.000 Stk. Schutzgeräte
- 150 Stk. Transformatoren sowie
- 300 km 20-kV-Mittelspannungskabel
erfolgreich geplant, geliefert und in Betrieb gesetzt. Der Umfang ist schematisch in Abb. 1 ersichtlich. Jede U-Bahn-Linie wird vom lokalen Verteilnetzbetreiber Wiener Netze versorgt. Dies erfolgt über zwei Haupt- und eine Nebeneinspeisung sowie eine 20-kV-Ersatzstromanlage mit einer Leistung von ca. 4,5 MVA.
Abb. 1 Linienplan der Wiener U-Bahn (farbig sind die Linien mit einem 20-kV-Netz)
SCHUTZKONZEPT
Im Bereich der Wiener Linien werden zur Versorgung MS-Kabelnetze verwendet, die überwiegend aus halogenfreien 20-kV-Kabeln bestehen. Diese sind entlang der Fahrstrecke in einem Betonkabelkanal verlegt und bilden den 20-kV-Versorgungsring.
Das Schutzkonzept einer U-Bahn-Station sowie des dazugehörigen 20-kV-Kabelringes ist in Abb. 2 dargestellt.
Als Hauptschutz verfügen die 20-kV-Kabelstrecken über Kabeldifferentialschutzeinrichtungen, die 20-kV-Stationen über einen Hochimpedanz-Differentialschutz als Sammelschienenschutz bzw. Anlagenschutz. Weiters wird ein Überstromzeitschutz als Hauptschutz für Transformatoren und Abgänge zu Unterstationen und als Reserveschutz für die 20-kV-Kabelstrecken eingesetzt. Ein Generatorschutz dient als Schutz für die Notstromgeneratoren.
Im Folgenden ein paar Anforderungen an den Stationsschutz sowie die Schaltautomatik:
- Bei Stationen ohne Haupt- und Nebeneinspeisungen (Zwischenstationen) sind alle Kabelabgänge sowie Kupplungen in der Verbrauchergruppe so zu schalten, dass ein geschlossener 20-kV-Ring entsteht.
- Bei Ausfall einer Anspeisung wird auf den zweiten Transformator umgeschaltet, sofern auf der einspeisenden Unterwerkssammelschiene Spannung vorhanden ist.
- Im Falle der Stromversorgung über das 4-MVA-Notstromaggregat werden sämtliche Stationstransformatoren sekundär weggeschaltet und primärseitig mit dem Generatorhochlauf mitmagnetisiert.
- Der bei jedem der im Parallelbetrieb befindlichen 20/0,4-kV-Transformatoren vorhandene Rückleistungsschutz auf der 400-V-Seite garantiert das selektive Abschalten des fehlerhaften Transformators und die sichere Weiterversorgung durch die restlichen Transformatoren.
- Bei Stationen, welche als Haupteinspeisungen ausgelegt sind, erfolgt unter anderem auch eine Meldungsprotokollierung der KNOSPE (kurzzeitige niederohmige Sternpunkterdung). Die Schutzauslösungen der KNOSPE werden äquivalent zu anderen Schutzauslösungen in der Automatikfunktion weiterverarbeitet.
Abb. 2 Schutzkonzept einer typischen 20-kV-Station
KNOSPE-NETZ – DIE BRÄNDE IN TUNNELANLAGEN SIND SEHR GEFÄHRLICH
In MS-Netzen wird der Sternpunkt häufig über eine Petersen-Spule kompensiert betrieben. D. h., einpolige Erdschlüsse müssen nicht sofort abgeschaltet werden bzw. es erfolgt keine Unterbrechung der Energieversorgung. In Kabelnetzen und insbesondere in GIS-Schaltanlagen sollten Erdschlüsse möglichst rasch erkannt und selektiv abgeschaltet werden. Bei Erdschlussfehlern in Kabelanlagen entsteht eine ionisierte Strecke, welche in weiterer Folge zu einem Störlichtbogen führt. Der Lichtbogen brennt daher an dieser Stelle und kann bei längerer Dauer zu einem Kabelbrand führen, welcher im Tunnelbereich äußerst gefährlich ist. Hierbei sind oft auch benachbarte Phasen betroffen, wodurch es zu einem dreipoligen Kurzschluss mit größeren Fehlerströmen kommen kann.
In jedem Fall ist es günstig, Erdschlüsse in gekapselten Anlagen sowie in Kabelanlagen, die nicht unmittelbar von selbst verlöschen, möglichst rasch zu orten und sofort die betroffenen Anlagenabschnitte selektiv abzuschalten.
Wegen der Risiken, die mit einem inneren einpoligen Fehler verbunden sind, insbesondere aber wegen der Brandgefahr, welche als Folge dieser Fehler auftritt, wurde 2007 das Widerstand-geerdete 20-kV-Netz zusätzlich mit einer KNOSPE erweitert.
Das KNOSPE-Verfahren mit Wattstromerfassung als Ortungsverfahren ermöglicht ein sicheres Ansprechen der Selektivitätsschutzeinrichtungen, erhöht dabei aber den Erdschlussstrom.
Hierbei wird bei einem Erdschluss über einen Schalter ein zweiter Widerstand zum bestehenden Fix-Widerstand dazugeschaltet. Die Erhöhung des Fehlerstromes führt ein gezieltes Erkennen durch die Schutzgeräte herbei und damit ein sicheres Ansprechen des Schutzes. Damit kann erreicht werden, dass die Schutz- und Schaltereigenzeiten in ausreichend großem Sicherheitsabstand unterhalb der Durchschmelzzeit der Anlage liegen bzw. dass die thermische Belastung der Fehlerstelle von Kabeln gering gehalten wird.
Wegen der kurzen Einwirkungsdauer sind auch höhere Berühr- und Schrittspannungen zulässig, wodurch der Aufwand bei den Erdungsanlagen geringer gehalten werden kann.
Die Fehlerausschaltzeit setzt sich aus folgenden Anteilen zusammen:
t0= 20–50 ms Kommandozeit des Nullspannungsrelais
te= 50–80 ms Einschaltzeit für die Kurzerdung
td= 20–50 ms Kommandozeit des Leitungsschutzes
ta= 50–120 ms Auschaltzeit des LS
Daraus ergibt sich eine gesamte Abschaltzeit bei einem einpoligen Fehler im MS-Netz von 140 bis 300 ms.
Bei den Einspeisetransformatoren wurde die Schaltgruppe YNyn0d1 gewählt. Dadurch ergeben sich deutlich kleinere Trafo-Nullimpedanzwerte gegenüber normalen YNyn0-Transformatoren, wodurch ein verbessertes Erdschlussengineering entsprechend dem Stand der Technik erzielt wird.
WARUM ÜBERGANG AUF KNOSPE
Beim Übergang zu einem Betrieb mit kurzzeitiger niederohmiger Sternpunkterdung werden bei entsprechender Einstellung der Schutzsysteme einpolige Fehler erkannt und in kurzer Zeit abgeschaltet. Durch die sehr kurze Einwirkungszeit bis zur Schutzauslösung bleibt das Brandrisiko gering. Weiterhin kann aufgrund der Schutzauslösung das fehlerhafte Betriebsmittel rasch erkannt und damit auch schnell repariert werden. Die vorhandenen Schutzeinrichtungen können für die selektive Fehlerabschaltung verwendet werden. Es sind lediglich an den Sternpunktbildern Schalter nachzurüsten, mit denen niederohmige Sternpunktwiderstände zugeschaltet werden können (als Anregekriterium wurde die Verlagerungsspannung des Sternpunktes verwendet).
Insgesamt erscheint im Vergleich mit anderen Erdschlussortungsverfahren die kurzzeitige niederohmige Sternpunkterdung einfacher und kostengünstiger in ihrer technischen Realisierung sowie sicherer und schnell wirkend in ihrer selektiven Fehlerabschaltung zu sein.
Abb. 3 Einspeisetransformatoren mit permanentem Sternpunktwiderstand und KNOSPE